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Evolutionäre Erkenntnistheorie

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Die Evolutionäre Erkenntnistheorie (englisch evolutionary epistemology) ist ein von verschiedenen Disziplinen ausgehendes Programm, um eine Erkenntnistheorie und vor allem eine Erkenntniskritik des menschlichen Erkenntnisvermögens auf Basis der Evolutionstheorie beziehungsweise der Naturgeschichte des Menschen zu formulieren.

Hauptvertreter sind Donald T. Campbell, Gerhard Vollmer, Rupert Riedl, Konrad Lorenz und Karl Popper.

Eine ideengeschichtliche Verwandtschaft besteht auch zum Ansatz der dem radikalen Konstruktivismus zugeordneten Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela.

Geschichte

Erste Ansätze einer evolutionären Erkenntnistheorie stammten von Herbert Spencer und Georg Simmel. Die meisten Ansätze evolutionärer Erkenntnistheorien berufen sich aber auf eine Stelle aus Natural Kinds von Willard Van Orman Quine von 1969. In diesem Aufsatz fragt er sich, warum die Kategorien unserer Sprache denen der Welt entsprechen sollten. Er vertritt die These, dass wir geboren werden mit der Fähigkeit, Kategorisierungen zu bilden, die uns helfen zu überleben, denn: “Creatures inveterately wrong in their inductions have a pathetic but praiseworthy tendency to die before reproducing their kind.” („Lebewesen, die mit ihren induktiven Schlüssen immer wieder falschliegen, neigen – zwar bedauerns-, aber auch dankenswerterweise – dazu zu sterben, bevor sie ihre Art fortpflanzen können.“) Quine ist Kohärentist und Naturalist, weshalb für ihn die Lösung philosophischer Probleme durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse zulässig ist. In der kohärentistischen Position findet die Rechtfertigung unserer Kategorien durch die Evolution bei Quine erst ihren Platz.

Ähnlich argumentiert George Gaylord Simpson: „Um es grob, aber bildhaft auszudrücken: Der Affe, der keine realistische Wahrnehmung von dem Ast hatte, nach dem er sprang, war bald ein toter Affe und gehört daher nicht zu unseren Urahnen.“

Eine erste größere systematische Fassung wurde erst von Konrad Lorenz vorgelegt (Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens, 1973), die im Weiteren von Gerhard Vollmer ausgebaut wurde. Ein anderer Vertreter ist der österreichische Meeresbiologe Rupert Riedl. Er schreibt: „Mit Konrad Lorenz’ Einsicht, dass die angeborenen Formen unserer Anschauung wohl aus denselben Gründen in diese Welt passen, aus denen die Flosse des Fisches ins Wasser passt, noch bevor er aus dem Ei geschlüpft ist, entwickelte sich die ‚Evolutionäre Erkenntnistheorie‘. Sie lehrt, dass Leben, Evolution selbst, einen erkenntnisgewinnenden Prozess darstellt, gleichgültig, ob die Kenntnis auf genetischem Wege vorauserworben oder durch den assoziativen Lernvorgang des Individuums hinzugefügt wurde.“ Auch das Bewusstsein ist nach Riedl ebenfalls evolutionär entstanden: „Das Bewusstsein ist sicher durch den enormen Überlebensvorteil entstanden, durch die Fähigkeit, die Hypothese anstatt seiner selbst sterben zu lassen.“

Korrespondenz von Umwelt und Erkenntnisvermögen

„Die erkenntnistheoretische Hauptfrage ist die nach Grund und Grad der Übereinstimmung von Erkenntnis- und Realkategorien“ (Vollmer 1998, S. 3 und S. 54). Geht ein naiver Realismus davon aus, dass die Welt genauso sei, wie der Mensch sie erkennen (kann), also dass Erkenntnis- und Realkategorien vollkommen übereinstimmen, so liefert der transzendentale Idealismus Immanuel Kants die Gegenthese: Hinter den weltlichen Erscheinungen, so wie sie wahrgenommen und erkannt werden, stehe ein „Ding an sich“, das dem Bewusstsein in seiner Eigenheit prinzipiell unzugänglich ist. Allerdings relativiert sich dieser Idealismus (zumindest bei Kant selbst) dadurch, dass der Mensch sich selbst vornehmlich ebenfalls als Gegenstand der Erfahrung wahrnimmt, und erst zum Verständnis des Handelns sich zusätzlich als freies Subjekt an sich versteht. Für die Fortführung des Idealismus (Deutscher Idealismus, Britischer Idealismus) ist entscheidend, dass Kant die Möglichkeit zu dieser Erkenntnis auf „apriorische“ Strukturen gründet, d. h. auf solche, die der Erfahrung und der Möglichkeit ihrer Überprüfung vorausgehen (namentlich die Anschauungsformen und die Kategorien).

Die modernen Naturwissenschaften setzten historisch mehr oder weniger explizit einen wissenschaftlichen Realismus voraus. Diesem zufolge kann die Erkenntnis durch wissenschaftliche Methoden die Umwelt in fortschreitender Annäherung und Selbstkorrektur deutlicher und fehlerfreier erkennen. Dabei bestand im ausgehenden 19. Jahrhundert die Gefahr einer „Psychologisierung“ der Erkenntnis, die das Entstehen der Bewusstseinsinhalte und Überzeugungen kausal herleiten konnte, aber dabei keinen Grund und kein Kriterium für die Wahrheitshaltigkeit der Erkenntnis bieten konnte.

Die evolutionäre Erkenntnistheorie versucht hier einen Balanceakt: Das „Apriori“ der vor und unabhängig von aller Erfahrung gegebenen Erkenntnisstrukturen ist demnach zwar hinsichtlich des individuellen Seins richtig, dem diese Strukturen angeboren und in diesem Sinne a priori gegeben sind. Doch diese Strukturen sind biologisch und psychologisch erklärbar aus der Stammesgeschichte des Menschen und allgemein der Evolution des Lebens: Realistische und das Reale klarer erfassende Strukturen sollen dem Selektionsdruck entspringen. Damit ist das Apriori selbst phylogenetisch, also empirisch bedingt, und kein Garant der Wahrheit und Gültigkeit der Erkenntnis, sondern der Funktionalität des Erkenntnisapparats unter Selektionsdruck.

Gerhard Vollmer:

„Unser Erkenntnisapparat ist ein Ergebnis der Evolution. Die subjektiven Erkenntnisstrukturen passen auf die Welt, weil sie sich im Laufe der Evolution in Anpassung an diese reale Welt herausgebildet haben. Und sie stimmen mit den realen Strukturen (teilweise) überein, weil nur eine solche Übereinstimmung das Überleben ermöglichte.“

– Vollmer 1998, S. 102.

Der Grad der Übereinstimmung zwischen Erkenntnis und wirklicher Umwelt ist uns demzufolge unbekannt (Vollmer, S. 137) und kann bestenfalls im Vergleich gegebener Erkenntnisvermögen in derselben Umwelt bewertet werden. Vollmers Konsequenz ist ein hypothetischer Realismus mit folgenden Annahmen: 1) dass es eine reale Welt unabhängig von Wahrnehmung und Bewusstsein gibt, 2) dass sie gewisse Strukturen hat und 3) dass diese Strukturen teilweise erkennbar sind bzw. mit denen der von uns erkannten Welt übereinstimmen (Vollmer 1998, S. 35). Das gilt dann insbesondere für die Strukturen von Raum und Zeit.

Kritik

Diese realistische Deutung ist nicht unumstritten. Die Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela – trotz ihres Widerspruchs (vgl. ihre Bewertung des Solipsismus, 2010, S. 146) oft als radikale Konstruktivisten bezeichnet – schreiben z. B.: „Wenn wir die Existenz einer objektiven Welt voraussetzen, die von uns als den Beobachtern unabhängig und die unserem Erkennen durch unser Nervensystem zugänglich ist, dann können wir nicht verstehen, wie unser Nervensystem in seiner strukturellen Dynamik funktionieren und dabei eine Repräsentation dieser unabhängigen Welt erzeugen soll.“ (Maturana/Varela, S. 259).

In ihrem Buch Der Baum der Erkenntnis nutzen sie umgekehrt die Evolutionstheorie zur Begründung einer anti-realistischen evolutionären Erkenntnistheorie. Ein zentraler Slogan dabei ist: „Erkennen hat es nicht mit Objekten zu tun“ (Maturana/Varela, S. 262), stattdessen ist das erkennende Bewusstsein (und sein organisches Substrat) vor allem auf sich selbst bezogen. Als Folge gehören das ‚Phänomen des Erklärens‘ und das ‚erklärte Phänomen‘ nicht verschiedenen Bereichen an (Maturana/Varela, S. 257). Damit unterlaufen sie die von Vollmer gestellte Frage nach der Übereinstimmung zwischen Erkenntnis- und Realkategorien: Alles in der Welt Erkannte gehört nur dem Bereich der Erkenntnisstrukturen an.

Hier besteht die Gefahr eines Zirkelschlusses: Maturana und Varela beschreiben die Evolution des Lebens ausgehend von den materiellen Grundlagen des Universums, kommen aber zu dem Schluss, dass diese Anfangsbedingungen und der gesamte Evolutionsprozess vor allem Zustände und Produkte erst des erkennenden Bewusstseins sind, das naturgeschichtlich an ihrem vorläufigen Ende steht. Es ist fraglich, ob es so „keinen festen Bezugspunkt mehr“ (Maturana/Varela, S. 258) gibt, sondern nur Zirkularität, die sie selbst mit dem Bild der „zeichnenden Hände“ von M. C. Escher veranschaulichen, etwa im Sinne einer Autopoiesis.

Vollmer hat sowohl auf kantianische Einwände als auch auf generelle Kritik ausführlich reagiert.

Literatur

  • Bernhard Irrgang: Lehrbuch der Evolutionären Erkenntnistheorie. Reinhardt, 2. Aufl. München 2001.
  • Konrad Lorenz: Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens. München 1973.
  • Karl Popper: Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf. Hamburg 1973.
  • Willard Van Orman Quine: Natural kinds. In: Ders.: Ontological Relativity and Other Essays. Columbia University Press, New York 1969, S. 115–138.
  • Rupert Riedl: Biologie der Erkenntnis. Die stammesgeschichtlichen Grundlagen der Vernunft. (1980) Berlin/Hamburg.
  • Gerhard Vollmer: Evolutionäre Erkenntnistheorie. Stuttgart 1975, 1998, 8. Aufl. 2002.
  • Humberto Maturana, Francisco Varela: Der Baum der Erkenntnis. Frankfurt 2010.
  • Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. B = 2. Auflage 1787, zitiert nach der Ausgabe Meiner, Hamburg 1998.
  • Hoimar von Ditfurth: Der Geist fiel nicht vom Himmel: Die Evolution unseres Bewußtseins. Hamburg 1976.
  • Hoimar von Ditfurth: Wir sind nicht nur von dieser Welt. Naturwissenschaft, Religion und die Zukunft des Menschen. Hamburg 1981. H. v. Ditfurth macht hier auch dem philosophischen Laien die Evolutionäre Erkenntnistheorie verständlich.
  • Detlef Weinich: Verfall und Niedergang. Zivilisatorischer Wandel aus der Sicht der Evolutionären Erkenntnistheorie. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 17, 1998, S. 473–504.

Einzelnachweise

  1. Konrad Lorenz (1903–1989) war derjenige, der die evolutionäre Erkenntnistheorie als Erster in seiner vollen Bedeutung erkannte/entwickelte und damit als Begründer derselben angesehen werden darf (nach Hoimar von Ditfurth (1921–1989), aus: Innenansichten eines Artgenossen. (1989)).
  2. George Gaylord Simpson: Biology and the Nature of Science. Science 11 January 1963, Bd. 139, Nr. 3550, S. 81–88, zitiert nach Vollmer 1998, S. 103, Text siehe Die Evolution der Erkenntnisfähigkeit
  3. R. Riedl: Kultur: Spätzündung der Evolution? Antworten auf Fragen an die Evolutions- und Erkenntnistheorie. Piper, München 1987. S. 197.
  4. Franz Kreuzer: Ich bin – also denke ich. Die Evolutionäre Erkenntnistheorie. Franz Kreuzer im Gespräch mit Engelbert Broda, Rupert Riedl. Wien: Deuticke 1981, S. 56.
  5. Gerhard Vollmer: Kant und die Evolutionäre Erkenntnistheorie. In: Was können wir wissen? Band 1: Die Natur der Erkenntnis. S. 166–216, Hirzel, 1985.
  6. Gerhard Vollmer: Evolution und Erkenntnis – Zur Kritik an der Evolutionären Erkenntnistheorie. In: Was können wir wissen? Band 1: Die Natur der Erkenntnis. S. 268–322, Hirzel, 1985. Dort geht Vollmer auf insgesamt 25 Einwände gegen die evolutionäre Erkenntnistheorie ein.

Weblinks

  • Michael Bradie und William Harms: Evolutionary Epistemology. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
  • Nathalie Gontier: Evolutionary Epistemology. In: James Fieser, Bradley Dowden (Hrsg.): Internet Encyclopedia of Philosophy.
  • Evolutionäre Erkenntnistheorie und Konstruktivismus (PDF, 496 kB)
  • Aufsätze zur evolutionären Erkenntnistheorie

Autor: www.NiNa.Az

Veröffentlichungsdatum: 18 Jul 2025 / 14:03

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Die Evolutionare Erkenntnistheorie englisch evolutionary epistemology ist ein von verschiedenen Disziplinen ausgehendes Programm um eine Erkenntnistheorie und vor allem eine Erkenntniskritik des menschlichen Erkenntnisvermogens auf Basis der Evolutionstheorie beziehungsweise der Naturgeschichte des Menschen zu formulieren Hauptvertreter sind Donald T Campbell Gerhard Vollmer Rupert Riedl Konrad Lorenz und Karl Popper Eine ideengeschichtliche Verwandtschaft besteht auch zum Ansatz der dem radikalen Konstruktivismus zugeordneten Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela GeschichteErste Ansatze einer evolutionaren Erkenntnistheorie stammten von Herbert Spencer und Georg Simmel Die meisten Ansatze evolutionarer Erkenntnistheorien berufen sich aber auf eine Stelle aus Natural Kinds von Willard Van Orman Quine von 1969 In diesem Aufsatz fragt er sich warum die Kategorien unserer Sprache denen der Welt entsprechen sollten Er vertritt die These dass wir geboren werden mit der Fahigkeit Kategorisierungen zu bilden die uns helfen zu uberleben denn Creatures inveterately wrong in their inductions have a pathetic but praiseworthy tendency to die before reproducing their kind Lebewesen die mit ihren induktiven Schlussen immer wieder falschliegen neigen zwar bedauerns aber auch dankenswerterweise dazu zu sterben bevor sie ihre Art fortpflanzen konnen Quine ist Koharentist und Naturalist weshalb fur ihn die Losung philosophischer Probleme durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse zulassig ist In der koharentistischen Position findet die Rechtfertigung unserer Kategorien durch die Evolution bei Quine erst ihren Platz Ahnlich argumentiert George Gaylord Simpson Um es grob aber bildhaft auszudrucken Der Affe der keine realistische Wahrnehmung von dem Ast hatte nach dem er sprang war bald ein toter Affe und gehort daher nicht zu unseren Urahnen Eine erste grossere systematische Fassung wurde erst von Konrad Lorenz vorgelegt Die Ruckseite des Spiegels Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens 1973 die im Weiteren von Gerhard Vollmer ausgebaut wurde Ein anderer Vertreter ist der osterreichische Meeresbiologe Rupert Riedl Er schreibt Mit Konrad Lorenz Einsicht dass die angeborenen Formen unserer Anschauung wohl aus denselben Grunden in diese Welt passen aus denen die Flosse des Fisches ins Wasser passt noch bevor er aus dem Ei geschlupft ist entwickelte sich die Evolutionare Erkenntnistheorie Sie lehrt dass Leben Evolution selbst einen erkenntnisgewinnenden Prozess darstellt gleichgultig ob die Kenntnis auf genetischem Wege vorauserworben oder durch den assoziativen Lernvorgang des Individuums hinzugefugt wurde Auch das Bewusstsein ist nach Riedl ebenfalls evolutionar entstanden Das Bewusstsein ist sicher durch den enormen Uberlebensvorteil entstanden durch die Fahigkeit die Hypothese anstatt seiner selbst sterben zu lassen Korrespondenz von Umwelt und Erkenntnisvermogen Die erkenntnistheoretische Hauptfrage ist die nach Grund und Grad der Ubereinstimmung von Erkenntnis und Realkategorien Vollmer 1998 S 3 und S 54 Geht ein naiver Realismus davon aus dass die Welt genauso sei wie der Mensch sie erkennen kann also dass Erkenntnis und Realkategorien vollkommen ubereinstimmen so liefert der transzendentale Idealismus Immanuel Kants die Gegenthese Hinter den weltlichen Erscheinungen so wie sie wahrgenommen und erkannt werden stehe ein Ding an sich das dem Bewusstsein in seiner Eigenheit prinzipiell unzuganglich ist Allerdings relativiert sich dieser Idealismus zumindest bei Kant selbst dadurch dass der Mensch sich selbst vornehmlich ebenfalls als Gegenstand der Erfahrung wahrnimmt und erst zum Verstandnis des Handelns sich zusatzlich als freies Subjekt an sich versteht Fur die Fortfuhrung des Idealismus Deutscher Idealismus Britischer Idealismus ist entscheidend dass Kant die Moglichkeit zu dieser Erkenntnis auf apriorische Strukturen grundet d h auf solche die der Erfahrung und der Moglichkeit ihrer Uberprufung vorausgehen namentlich die Anschauungsformen und die Kategorien Die modernen Naturwissenschaften setzten historisch mehr oder weniger explizit einen wissenschaftlichen Realismus voraus Diesem zufolge kann die Erkenntnis durch wissenschaftliche Methoden die Umwelt in fortschreitender Annaherung und Selbstkorrektur deutlicher und fehlerfreier erkennen Dabei bestand im ausgehenden 19 Jahrhundert die Gefahr einer Psychologisierung der Erkenntnis die das Entstehen der Bewusstseinsinhalte und Uberzeugungen kausal herleiten konnte aber dabei keinen Grund und kein Kriterium fur die Wahrheitshaltigkeit der Erkenntnis bieten konnte Die evolutionare Erkenntnistheorie versucht hier einen Balanceakt Das Apriori der vor und unabhangig von aller Erfahrung gegebenen Erkenntnisstrukturen ist demnach zwar hinsichtlich des individuellen Seins richtig dem diese Strukturen angeboren und in diesem Sinne a priori gegeben sind Doch diese Strukturen sind biologisch und psychologisch erklarbar aus der Stammesgeschichte des Menschen und allgemein der Evolution des Lebens Realistische und das Reale klarer erfassende Strukturen sollen dem Selektionsdruck entspringen Damit ist das Apriori selbst phylogenetisch also empirisch bedingt und kein Garant der Wahrheit und Gultigkeit der Erkenntnis sondern der Funktionalitat des Erkenntnisapparats unter Selektionsdruck Gerhard Vollmer Unser Erkenntnisapparat ist ein Ergebnis der Evolution Die subjektiven Erkenntnisstrukturen passen auf die Welt weil sie sich im Laufe der Evolution in Anpassung an diese reale Welt herausgebildet haben Und sie stimmen mit den realen Strukturen teilweise uberein weil nur eine solche Ubereinstimmung das Uberleben ermoglichte Vollmer 1998 S 102 Der Grad der Ubereinstimmung zwischen Erkenntnis und wirklicher Umwelt ist uns demzufolge unbekannt Vollmer S 137 und kann bestenfalls im Vergleich gegebener Erkenntnisvermogen in derselben Umwelt bewertet werden Vollmers Konsequenz ist ein hypothetischer Realismus mit folgenden Annahmen 1 dass es eine reale Welt unabhangig von Wahrnehmung und Bewusstsein gibt 2 dass sie gewisse Strukturen hat und 3 dass diese Strukturen teilweise erkennbar sind bzw mit denen der von uns erkannten Welt ubereinstimmen Vollmer 1998 S 35 Das gilt dann insbesondere fur die Strukturen von Raum und Zeit KritikDiese realistische Deutung ist nicht unumstritten Die Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela trotz ihres Widerspruchs vgl ihre Bewertung des Solipsismus 2010 S 146 oft als radikale Konstruktivisten bezeichnet schreiben z B Wenn wir die Existenz einer objektiven Welt voraussetzen die von uns als den Beobachtern unabhangig und die unserem Erkennen durch unser Nervensystem zuganglich ist dann konnen wir nicht verstehen wie unser Nervensystem in seiner strukturellen Dynamik funktionieren und dabei eine Reprasentation dieser unabhangigen Welt erzeugen soll Maturana Varela S 259 In ihrem Buch Der Baum der Erkenntnis nutzen sie umgekehrt die Evolutionstheorie zur Begrundung einer anti realistischen evolutionaren Erkenntnistheorie Ein zentraler Slogan dabei ist Erkennen hat es nicht mit Objekten zu tun Maturana Varela S 262 stattdessen ist das erkennende Bewusstsein und sein organisches Substrat vor allem auf sich selbst bezogen Als Folge gehoren das Phanomen des Erklarens und das erklarte Phanomen nicht verschiedenen Bereichen an Maturana Varela S 257 Damit unterlaufen sie die von Vollmer gestellte Frage nach der Ubereinstimmung zwischen Erkenntnis und Realkategorien Alles in der Welt Erkannte gehort nur dem Bereich der Erkenntnisstrukturen an Hier besteht die Gefahr eines Zirkelschlusses Maturana und Varela beschreiben die Evolution des Lebens ausgehend von den materiellen Grundlagen des Universums kommen aber zu dem Schluss dass diese Anfangsbedingungen und der gesamte Evolutionsprozess vor allem Zustande und Produkte erst des erkennenden Bewusstseins sind das naturgeschichtlich an ihrem vorlaufigen Ende steht Es ist fraglich ob es so keinen festen Bezugspunkt mehr Maturana Varela S 258 gibt sondern nur Zirkularitat die sie selbst mit dem Bild der zeichnenden Hande von M C Escher veranschaulichen etwa im Sinne einer Autopoiesis Vollmer hat sowohl auf kantianische Einwande als auch auf generelle Kritik ausfuhrlich reagiert LiteraturBernhard Irrgang Lehrbuch der Evolutionaren Erkenntnistheorie Reinhardt 2 Aufl Munchen 2001 Konrad Lorenz Ruckseite des Spiegels Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens Munchen 1973 Karl Popper Objektive Erkenntnis Ein evolutionarer Entwurf Hamburg 1973 Willard Van Orman Quine Natural kinds In Ders Ontological Relativity and Other Essays Columbia University Press New York 1969 S 115 138 Rupert Riedl Biologie der Erkenntnis Die stammesgeschichtlichen Grundlagen der Vernunft 1980 Berlin Hamburg Gerhard Vollmer Evolutionare Erkenntnistheorie Stuttgart 1975 1998 8 Aufl 2002 Humberto Maturana Francisco Varela Der Baum der Erkenntnis Frankfurt 2010 Immanuel Kant Kritik der reinen Vernunft B 2 Auflage 1787 zitiert nach der Ausgabe Meiner Hamburg 1998 Hoimar von Ditfurth Der Geist fiel nicht vom Himmel Die Evolution unseres Bewusstseins Hamburg 1976 Hoimar von Ditfurth Wir sind nicht nur von dieser Welt Naturwissenschaft Religion und die Zukunft des Menschen Hamburg 1981 H v Ditfurth macht hier auch dem philosophischen Laien die Evolutionare Erkenntnistheorie verstandlich Detlef Weinich Verfall und Niedergang Zivilisatorischer Wandel aus der Sicht der Evolutionaren Erkenntnistheorie In Wurzburger medizinhistorische Mitteilungen 17 1998 S 473 504 EinzelnachweiseKonrad Lorenz 1903 1989 war derjenige der die evolutionare Erkenntnistheorie als Erster in seiner vollen Bedeutung erkannte entwickelte und damit als Begrunder derselben angesehen werden darf nach Hoimar von Ditfurth 1921 1989 aus Innenansichten eines Artgenossen 1989 George Gaylord Simpson Biology and the Nature of Science Science 11 January 1963 Bd 139 Nr 3550 S 81 88 zitiert nach Vollmer 1998 S 103 Text siehe Die Evolution der Erkenntnisfahigkeit R Riedl Kultur Spatzundung der Evolution Antworten auf Fragen an die Evolutions und Erkenntnistheorie Piper Munchen 1987 S 197 Franz Kreuzer Ich bin also denke ich Die Evolutionare Erkenntnistheorie Franz Kreuzer im Gesprach mit Engelbert Broda Rupert Riedl Wien Deuticke 1981 S 56 Gerhard Vollmer Kant und die Evolutionare Erkenntnistheorie In Was konnen wir wissen Band 1 Die Natur der Erkenntnis S 166 216 Hirzel 1985 Gerhard Vollmer Evolution und Erkenntnis Zur Kritik an der Evolutionaren Erkenntnistheorie In Was konnen wir wissen Band 1 Die Natur der Erkenntnis S 268 322 Hirzel 1985 Dort geht Vollmer auf insgesamt 25 Einwande gegen die evolutionare Erkenntnistheorie ein WeblinksMichael Bradie und William Harms Evolutionary Epistemology In Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Nathalie Gontier Evolutionary Epistemology In James Fieser Bradley Dowden Hrsg Internet Encyclopedia of Philosophy Evolutionare Erkenntnistheorie und Konstruktivismus PDF 496 kB Aufsatze zur evolutionaren Erkenntnistheorie

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