Deutsche Hörer ist der Titel einer Reihe von 55 Radioansprachen Thomas Manns die das deutsche Programm der BBC zwischen
Deutsche Hörer!

Deutsche Hörer! ist der Titel einer Reihe von 55 Radioansprachen Thomas Manns, die das deutsche Programm der BBC zwischen Oktober 1940 und Mai 1945 meist regelmäßig einmal monatlich ausstrahlte. Hinzu kamen einzelne Sondersendungen sowie eine letzte Ansprache zu Neujahr 1946.
Es handelte sich um fünf- bis achtminütige, pointiert formulierte Reden, in denen der Autor sich mit der politischen Lage Deutschlands in der Zeit des Nationalsozialismus befasste, das Kriegsgeschehen kommentierte und mahnende Worte an seine Landsleute richtete. Eine erste Sammlung mit 25 Sendungen wurde 1942 als Buch veröffentlicht, die erweiterte Ausgabe umfasste 1945 55 Texte.
Inhalt
Nachdem Thomas Mann in unterschiedlichen Publikationen gegen den Nationalsozialismus warnend Stellung genommen hatte, so in seinem Appell an die Vernunft von 1930, setzte er diese Form von Mahnungen mit den Ansprachen fort.
Seine Reden gehen von der Differenz zwischen den Deutschen (bzw. ihrer Kultur) und dem Nationalsozialismus aus, eine Grundüberzeugung, die sein politisches Denken während des Exils bestimmt hat. Tendenziell zielen sie darauf, den deutschen Hörern diese Differenz bewusst zu machen und sie dadurch zum Widerstand gegen Adolf Hitler zu bewegen.
Thomas Manns auf politische Aufklärungsarbeit zielende Ansprachen sollten der „Absperrung Deutschlands von der Welt und ihrem Fühlen und Denken“ entgegenwirken, indem er die von der nationalsozialistischen Propaganda betriebene Verfälschung und Verhunzung von Begriffen und Ideen wie Revolution und Sozialismus, Freiheit und Vaterlandsliebe bewusst zu machen suchte.
Während einige der Reden sich mit aktuellen Ereignissen beschäftigten – einem Tagesbefehl Hitlers, einer Rede Roosevelts, der Besetzung Griechenlands –, ging es in anderen um grundlegende moralische Fragen im Zusammenhang mit den nationalsozialistischen Verbrechen auf der einen, den Reaktionen der Alliierten auf der anderen Seite. Er sprach die Zerstörung Lidices, die von „moralischem Irresein“ kündende Bombardierung des Stadtzentrums von Rotterdam, die Luftangriffe auf Coventry und die Zustände im Warschauer Ghetto ebenso an wie die Eskalationsstufen des Holocaust. Die Angriffe der Royal Air Force auf deutsche Städte wie Hamburg, Köln und Essen stellte er in einen Schuldzusammenhang und wies darauf hin, dass es sich um Vergeltungsmaßnahmen handelte. Es räche sich der Wahn und Glaube des deutschen Volkes an „sein Vorrecht zur Gewalttat“. Das Leid der deutschen Opfer entspringe nicht der Grausamkeit der Alliierten, sondern der schuldhaften Verstrickung in den Nationalsozialismus.
Im Januar 1942 ging er auf Einzelheiten der Judenverfolgung ein: „Die Nazis machen bewußt Geschichte mit allen ihren Taten, und die Probevergasung der vierhundert jungen Juden [...] ist Ausdruck des Geistes und der Gesinnung der nationalsozialistischen Revolution ...“ Nachdem er im Februar 1942 in dem amerikanischen Magazin Life einen Artikel mit Details über „deutsche Greuel in Polen“ gelesen hatte, prangerte er in einer weiteren Ansprache die „Tötung von nicht weniger als elftausend polnischen Juden mit Giftgas“ an, die in „luftdicht verschlossene Wagen gesteckt und binnen einer Viertelstunde in Leichen verwandelt“ worden seien. Man habe „die Beschreibung des ganzen Vorganges, der Schreie und Gebete der Opfer und des gutmütigen Gelächters der SS-Hottentotten, die den Spaß zur Ausführung brachten“.
Hintergrund
Thomas Mann war 1938 in die Vereinigten Staaten übergesiedelt und hatte sich später in Kalifornien niedergelassen. Die Vereinigten Staaten waren das wichtigste Emigrationsland für viele Deutsche, die der Verfolgung entkommen waren, in anderen europäischen Ländern keine Sicherheit mehr fanden und sich hier zu zahlreichen Exilorganisationen zusammenfanden, von denen Thomas Mann sich indes gewöhnlich fernhielt. Trotz dieser Distanz entfaltete er eine rege politische, gegen den Nationalsozialismus gerichtete Aktivität. Diese schlug sich vor allem in den Radioansprachen nieder, die von seinem Glauben, „an den kommenden Sieg der Demokratie“ getragen waren, so der Titel eines Vortrages, den der Autor bereits 1938 in fünfzehn amerikanischen Städten gehalten hatte.
Wie Thomas Mann im Vorwort zur ersten Ausgabe erklärte, bat ihn die BBC im Herbst 1940, er möge über ihren Sender in regelmäßigen Abständen „kurze Ansprachen“ an seine „Landsleute“ richten, um auf sie im Sinne seiner häufig geäußerten Überzeugungen einwirken zu können. Diese Gelegenheit habe er nicht versäumen wollen, zumal es nun möglich sei, von London aus über Mittelwellen und Langwellen zu senden, so dass seine Worte mittels des den Deutschen „allein zugestanden Empfängertypen“, dem Volksempfänger, würden gehört werden können, was nach der Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen als Abhören von Feindsendern verboten war.
Während er die Texte zunächst nach London schickte, wo sie ein „deutschsprachiger Angestellter der BBC“ verlas, bediente man sich auf seine Anregung später einer „umständlicheren, so doch direkteren und darum sympathischeren Methode“: Vom 18. März 1941 an sprach er im „Recording Department der NBC“ in Los Angeles die Texte selbst auf eine Schallplatte, die zunächst nach New York gesandt und von dort telefonisch nach London übertragen wurde. So konnten diejenigen, „die drüben zu lauschen wag(t)en“, auch seine eigene Stimme hören.
Offenbar, so Thomas Mann, gebe es auch in den besetzten Gebieten Menschen, „deren Hunger und Durst nach dem freien Wort so groß“ sei, dass sie den damit verbundenen Gefahren getrotzt hätten. Den „erheiternde(n) und degoutante(n) Beweis“ dafür habe Hitler selbst gegeben, indem er in einer Bierkellerrede zu München den Autor als jemanden beschimpft habe, der das deutsche Volk gegen ihn und sein System aufzuwiegeln versuche. Die Widersinnigkeit der Worte Hitlers bestehe darin, dass „der Führer“ einerseits seine „Verachtung des deutschen Volkes“ und seine Überzeugung von dessen Feigheit, Unterwürfigkeit und Dummheit, „sich belügen zu lassen“ ausgedrückt, dabei aber vergessen habe, wie es möglich sei, in ihm gleichzeitig eine zur „Weltherrschaft bestimmte Herrenrasse“ zu sehen.
Wirkung und Rezeption
Es ist unsicher, welche Wirkung die Reden hatten und inwieweit der Deutsche Widerstand durch sie ermutigt wurde. Da von keinem anderen deutschen Exilautor eine derart groß angelegte Aktion bekannt ist, darf der Einwirkungsversuch indes nicht geringgeschätzt werden. Die Fanatisierung vieler Deutscher durch die Propagandareden Joseph Goebbels’ und die scheinbare Identifizierung mit dem Nationalsozialismus schienen den Glauben Thomas Manns an die Widerständigkeit der deutschen Kultur bisweilen Lügen zu strafen; in einigen seiner Reden lassen sich mitunter Spuren von Resignation feststellen.
Einige Kommentare befassen sich mit Manns Bewertungen der alliierten Bombenangriffe als Reaktion auf den vom nationalsozialistischen Deutschland ausgelösten Krieg im Allgemeinen und einzelne Kriegshandlungen, militärische Strategien der Wehrmacht und Kriegsverbrechen im Besonderen. Anlässlich des Jahrestages der Zerstörung Coventrys hatte Mann erneut die Frage aufgeworfen, ob Deutschland denn gedacht habe, „es werde für die Untaten, die sein Vorsprung in der Barbarei ihm gestatte, niemals zu zahlen haben“. Die Angriffe auf deutsche Städte seien Teil dieser erwartbaren Reaktion. Selbst als es um Lübeck ging, seine Vaterstadt, in der die Marienkirche beschädigt worden sein könnte, habe er an Coventry gedacht – „und... nichts einzuwenden gegen die Lehre, daß alles bezahlt werden muß.“ Sein Sinn für Gerechtigkeit werde auf „eine besondere Probe gestellt werden“, falls „das sogenannte Buddenbrook-Haus in der Mengstraße“ tatsächlich zerstört worden sei. Diese Trümmer nun würden denjenigen nicht schrecken, „der nicht nur aus der Sympathie für die Vergangenheit, sondern aus der für die Zukunft“ lebe. Hitler-Deutschland habe weder Tradition noch Zukunft. Neben Lübeckern werde es auch Hamburger, Kölner und Düsseldorfer geben, die der Royal Air Force „guten Erfolg wünschen“, wenn sie das Dröhnen der Maschinen über sich hören.
Klaus Harpprecht stellte angesichts dieser Erwägungen fest, Thomas Mann scheine nicht in den Sinn gekommen zu sein, dass die bei den Bombenangriffen in den Kellern verängstigten Menschen, selbst wenn sie den Untergang des Regimes ersehnt hätten, nichts als Angst um sich und ihre Familien gehabt hätten und Manns Sprache in diesem Augenblick die des Zeitgeistes gewesen sei, der den tödlichen Feind zu erkennen glaube.
Von Ernst Jünger, der während des Vortrags der Deutschen Ansprache unter den SA-Leuten war, sich an den Störungen allerdings nicht direkt beteiligte, gibt es keine wesentlichen und längeren Stellungnahmen zu Thomas Mann. Erst spät äußerte er sich teilweise auch zu den Radioansprachen und bewertete sie negativ. Wie er in einem Spiegel-Gespräch (Ein Bruderschaftstrinken mit dem Tod) vom 16. August 1982 sagte, habe er sich stets geärgert, wenn er während einer BBC-Sendung hörte, dass „eine deutsche Stadt in Flammen aufgegangen sei“ und Thomas Mann „seine Reden“ dazu hielt. Andererseits bewunderte er ihn als großen Stilisten, „der Verantwortung für die deutsche Sprache“ gezeigt habe.
Die Äußerungen Thomas Manns, die angesichts der Opfer des Luftkrieges im Nachhinein irritieren, und sein überzogener Glaube, die Betroffenen in den bombardierten Städten wie Hamburg, Düsseldorf, Köln und Essen würden die angreifenden Piloten innerlich unterstützen, sind kein Einzelfall in seinem Spätwerk. Sie können als Nachklang einer auch unter Exilanten in den 1930er Jahren verbreiteten Erwartung betrachtet werden, es könne zum Widerstand gegen das Regime kommen, was von den Alliierten ausdrücklich als einer der Gründe für die Bombardements angegeben worden war.
Ausgaben
- Deutsche Hörer! Eine Auswahl aus den Rundfunkbotschaften an das deutsche Volk. Hrsg. und Verlag: Freier Deutscher Kulturbund in Großbritannien, o. J. (1944)
- Deutsche Hörer! 55 Radiosendungen nach Deutschland. Bermann Fischer, Stockholm 1945
- Deutsche Hörer! 25 Radiosendungen nach Deutschland. Bermann-Fischer, Stockholm 1942
- Deutsche Hörer! 55 Radiosendungen nach Deutschland. Insel Verlag, Leipzig 1970, 1971 (Insel-Bücherei 900; 1975: 2. Auflage)
- Deutsche Hörer! Radiosendungen nach Deutschland. Mit: Europäische Hörer! Reihe: Wissenschaft und Philosophie, 10. Hrsg. Europ. Kulturgesellschaft. Verlag Darmstädter Blätter, Darmstadt 1986 ISBN 3-87139-089-5.
- Deutsche Hörer! Radiosendungen nach Deutschland aus den Jahren 1940–1945. Fischer TB 5003, Frankfurt 1987
- ebd., in: Gesammelte Werke in 13 Bänden. Band 11: Reden und Aufsätze, 3. 2., durchges. Aufl. S. Fischer, Frankfurt 1974, 1990, ISBN 3-10-048177-1, S. 930–1050.
Literatur
- Sonja Valentin: „Steine in Hitlers Fenster“. Thomas Manns Radiosendungen Deutsche Hörer! 1940–1945. Wallstein, Göttingen 2015, ISBN 978-3-8353-1696-6.
- Tobias Temming: „Bruder Hitler“? Zur Bedeutung des politischen Thomas Mann. Essays und Reden aus dem Exil. WVB Wissenschafts-Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-86573-377-1.
- Stefan Bodo Würffel: Untergangsvisionen, Todesrhetorik und Katastrophenmusik beim späten Thomas Mann. In: Thomas Sprecher (Hrsg.): Lebenszauber und Todesmusik. Zum Spätwerk Thomas Manns. Die Davoser Literaturtage 2002 (Thomas-Mann-Studien). Klostermann, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-465-03294-2, S. 183–201.
Einzelnachweise
- Theo Stammen: Thomas Mann und die politische Welt, in: Thomas-Mann-Handbuch, Fischer, Frankfurt 2005, S. 45.
- Deutsche Hörer! 55 Radiosendungen nach Deutschland. In: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Kindler, München 1990, S. 64.
- Stefan Bodo Würffel: Untergangsvisionen, Todesrhetorik und Katastrophenmusik beim späten Thomas Mann. In: Lebenszauber und Todesmusik. Die Davoser Literaturtage 2002. Thomas-Mann-Studien. Klostermann, Frankfurt am Main 2004, S. 186.
- Zit. nach: Stefan Bodo Würffel: Untergangsvisionen, Todesrhetorik und Katastrophenmusik beim späten Thomas Mann. In: Lebenszauber und Todesmusik. Die Davoser Literaturtage 2002. Thomas-Mann-Studien. Klostermann, Frankfurt am Main 2004, S. 186.
- Zit. nach: Christian Hülshörster: Thomas Mann und Oskar Goldbergs »Wirklichkeit der Hebräer«. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1999, S. 122–123.
- Zit. nach: Christian Hülshörster: Thomas Mann und Oskar Goldbergs »Wirklichkeit der Hebräer«. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1999, S. 123.
- Theo Stammen: Thomas Mann und die politische Welt, in: Thomas-Mann-Handbuch, Fischer, Frankfurt 2005, S. 44.
- Thomas Mann: Deutsche Hörer, Fünfundfünfzig Radiosendungen nach Deutschland. In: Thomas Mann: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden, Band 11, Reden und Aufsätze, Fischer, Frankfurt 1974, S. 983.
- Auch das Abhören von Sendern neutraler oder verbündeter Staaten war verboten, wurde jedoch in Abhängigkeit von den verbreiteten Nachrichten geringer bestraft; siehe Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen
- Thomas Mann: Deutsche Hörer, Fünfundfünfzig Radiosendungen nach Deutschland. In: Thomas Mann: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden, Band 11, Reden und Aufsätze, Fischer, Frankfurt 1974, S. 985.
- Angaben aus: Thomas Mann, Thomas Mann spricht zum deutschen Volk, Essays, Band 5, Deutschland und die Deutschen, Kommentar, Fischer, Frankfurt, 1996 S. 354.
- Theo Stammen: Thomas Mann und die politische Welt, in: Thomas-Mann-Handbuch, Fischer, Frankfurt 2005, S. 45.
- Thomas Mann: Deutsche Hörer, Sondersendung, April 1942, in: Fünfundfünfzig Radiosendungen nach Deutschland, Gesammelte Werke in dreizehn Bänden, Band 11, Reden und Aufsätze, Fischer, Frankfurt 1974, S. 1034.
- Thomas Mann: Deutsche Hörer, Sondersendung, April 1942, in: Fünfundfünfzig Radiosendungen nach Deutschland, Gesammelte Werke in dreizehn Bänden, Band 11, Reden und Aufsätze, Fischer, Frankfurt 1974, S. 1035.
- Zit. nach: Stefan Bodo Würffel: Untergangsvisionen, Todesrhetorik und Katastrophenmusik beim späten Thomas Mann. In: Lebenszauber und Todesmusik. Die Davoser Literaturtage 2002. Thomas-Mann-Studien. Klostermann, Frankfurt am Main 2004, S. 185.
- Klaus Harpprecht: Thomas Mann, Eine Biographie, Rowohlt, Reinbek 1995, S. 1280.
- So Hermann Kurzke: Republikanische Politik In: Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk. Beck, München 2006, S. 365.
- Zit. nach: Hermann Kurzke: Republikanische Politik In: Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk. Beck, München 2006, S. 366.
- Stefan Bodo Würffel: Untergangsvisionen, Todesrhetorik und Katastrophenmusik beim späten Thomas Mann. In: Lebenszauber und Todesmusik. Die Davoser Literaturtage 2002. Thomas-Mann-Studien. Klostermann, Frankfurt am Main 2004, S. 186.
- 131 S. Es gibt Übersetzungen ins Engl., Franz., brasilianische Portugiesisch, argentinische, katalanische & mexikanische Spanisch.
- Auch Deutscher Bücherbund, Stuttgart; Ex Libris, Zürich; auch als Fischer TB ISBN 3-596-10321-5
Autor: www.NiNa.Az
Veröffentlichungsdatum:
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Deutsche Horer ist der Titel einer Reihe von 55 Radioansprachen Thomas Manns die das deutsche Programm der BBC zwischen Oktober 1940 und Mai 1945 meist regelmassig einmal monatlich ausstrahlte Hinzu kamen einzelne Sondersendungen sowie eine letzte Ansprache zu Neujahr 1946 Titelblatt der zweiten Ausgabe von 1945 Es handelte sich um funf bis achtminutige pointiert formulierte Reden in denen der Autor sich mit der politischen Lage Deutschlands in der Zeit des Nationalsozialismus befasste das Kriegsgeschehen kommentierte und mahnende Worte an seine Landsleute richtete Eine erste Sammlung mit 25 Sendungen wurde 1942 als Buch veroffentlicht die erweiterte Ausgabe umfasste 1945 55 Texte InhaltNachdem Thomas Mann in unterschiedlichen Publikationen gegen den Nationalsozialismus warnend Stellung genommen hatte so in seinem Appell an die Vernunft von 1930 setzte er diese Form von Mahnungen mit den Ansprachen fort Seine Reden gehen von der Differenz zwischen den Deutschen bzw ihrer Kultur und dem Nationalsozialismus aus eine Grunduberzeugung die sein politisches Denken wahrend des Exils bestimmt hat Tendenziell zielen sie darauf den deutschen Horern diese Differenz bewusst zu machen und sie dadurch zum Widerstand gegen Adolf Hitler zu bewegen Thomas Manns auf politische Aufklarungsarbeit zielende Ansprachen sollten der Absperrung Deutschlands von der Welt und ihrem Fuhlen und Denken entgegenwirken indem er die von der nationalsozialistischen Propaganda betriebene Verfalschung und Verhunzung von Begriffen und Ideen wie Revolution und Sozialismus Freiheit und Vaterlandsliebe bewusst zu machen suchte Wahrend einige der Reden sich mit aktuellen Ereignissen beschaftigten einem Tagesbefehl Hitlers einer Rede Roosevelts der Besetzung Griechenlands ging es in anderen um grundlegende moralische Fragen im Zusammenhang mit den nationalsozialistischen Verbrechen auf der einen den Reaktionen der Alliierten auf der anderen Seite Er sprach die Zerstorung Lidices die von moralischem Irresein kundende Bombardierung des Stadtzentrums von Rotterdam die Luftangriffe auf Coventry und die Zustande im Warschauer Ghetto ebenso an wie die Eskalationsstufen des Holocaust Die Angriffe der Royal Air Force auf deutsche Stadte wie Hamburg Koln und Essen stellte er in einen Schuldzusammenhang und wies darauf hin dass es sich um Vergeltungsmassnahmen handelte Es rache sich der Wahn und Glaube des deutschen Volkes an sein Vorrecht zur Gewalttat Das Leid der deutschen Opfer entspringe nicht der Grausamkeit der Alliierten sondern der schuldhaften Verstrickung in den Nationalsozialismus Im Januar 1942 ging er auf Einzelheiten der Judenverfolgung ein Die Nazis machen bewusst Geschichte mit allen ihren Taten und die Probevergasung der vierhundert jungen Juden ist Ausdruck des Geistes und der Gesinnung der nationalsozialistischen Revolution Nachdem er im Februar 1942 in dem amerikanischen Magazin Life einen Artikel mit Details uber deutsche Greuel in Polen gelesen hatte prangerte er in einer weiteren Ansprache die Totung von nicht weniger als elftausend polnischen Juden mit Giftgas an die in luftdicht verschlossene Wagen gesteckt und binnen einer Viertelstunde in Leichen verwandelt worden seien Man habe die Beschreibung des ganzen Vorganges der Schreie und Gebete der Opfer und des gutmutigen Gelachters der SS Hottentotten die den Spass zur Ausfuhrung brachten HintergrundThomas Mann 1937 Foto von Carl van Vechten Thomas Mann war 1938 in die Vereinigten Staaten ubergesiedelt und hatte sich spater in Kalifornien niedergelassen Die Vereinigten Staaten waren das wichtigste Emigrationsland fur viele Deutsche die der Verfolgung entkommen waren in anderen europaischen Landern keine Sicherheit mehr fanden und sich hier zu zahlreichen Exilorganisationen zusammenfanden von denen Thomas Mann sich indes gewohnlich fernhielt Trotz dieser Distanz entfaltete er eine rege politische gegen den Nationalsozialismus gerichtete Aktivitat Diese schlug sich vor allem in den Radioansprachen nieder die von seinem Glauben an den kommenden Sieg der Demokratie getragen waren so der Titel eines Vortrages den der Autor bereits 1938 in funfzehn amerikanischen Stadten gehalten hatte Wie Thomas Mann im Vorwort zur ersten Ausgabe erklarte bat ihn die BBC im Herbst 1940 er moge uber ihren Sender in regelmassigen Abstanden kurze Ansprachen an seine Landsleute richten um auf sie im Sinne seiner haufig geausserten Uberzeugungen einwirken zu konnen Diese Gelegenheit habe er nicht versaumen wollen zumal es nun moglich sei von London aus uber Mittelwellen und Langwellen zu senden so dass seine Worte mittels des den Deutschen allein zugestanden Empfangertypen dem Volksempfanger wurden gehort werden konnen was nach der Verordnung uber ausserordentliche Rundfunkmassnahmen als Abhoren von Feindsendern verboten war Wahrend er die Texte zunachst nach London schickte wo sie ein deutschsprachiger Angestellter der BBC verlas bediente man sich auf seine Anregung spater einer umstandlicheren so doch direkteren und darum sympathischeren Methode Vom 18 Marz 1941 an sprach er im Recording Department der NBC in Los Angeles die Texte selbst auf eine Schallplatte die zunachst nach New York gesandt und von dort telefonisch nach London ubertragen wurde So konnten diejenigen die druben zu lauschen wag t en auch seine eigene Stimme horen Offenbar so Thomas Mann gebe es auch in den besetzten Gebieten Menschen deren Hunger und Durst nach dem freien Wort so gross sei dass sie den damit verbundenen Gefahren getrotzt hatten Den erheiternde n und degoutante n Beweis dafur habe Hitler selbst gegeben indem er in einer Bierkellerrede zu Munchen den Autor als jemanden beschimpft habe der das deutsche Volk gegen ihn und sein System aufzuwiegeln versuche Die Widersinnigkeit der Worte Hitlers bestehe darin dass der Fuhrer einerseits seine Verachtung des deutschen Volkes und seine Uberzeugung von dessen Feigheit Unterwurfigkeit und Dummheit sich belugen zu lassen ausgedruckt dabei aber vergessen habe wie es moglich sei in ihm gleichzeitig eine zur Weltherrschaft bestimmte Herrenrasse zu sehen Wirkung und RezeptionEs ist unsicher welche Wirkung die Reden hatten und inwieweit der Deutsche Widerstand durch sie ermutigt wurde Da von keinem anderen deutschen Exilautor eine derart gross angelegte Aktion bekannt ist darf der Einwirkungsversuch indes nicht geringgeschatzt werden Die Fanatisierung vieler Deutscher durch die Propagandareden Joseph Goebbels und die scheinbare Identifizierung mit dem Nationalsozialismus schienen den Glauben Thomas Manns an die Widerstandigkeit der deutschen Kultur bisweilen Lugen zu strafen in einigen seiner Reden lassen sich mitunter Spuren von Resignation feststellen Einige Kommentare befassen sich mit Manns Bewertungen der alliierten Bombenangriffe als Reaktion auf den vom nationalsozialistischen Deutschland ausgelosten Krieg im Allgemeinen und einzelne Kriegshandlungen militarische Strategien der Wehrmacht und Kriegsverbrechen im Besonderen Anlasslich des Jahrestages der Zerstorung Coventrys hatte Mann erneut die Frage aufgeworfen ob Deutschland denn gedacht habe es werde fur die Untaten die sein Vorsprung in der Barbarei ihm gestatte niemals zu zahlen haben Die Angriffe auf deutsche Stadte seien Teil dieser erwartbaren Reaktion Selbst als es um Lubeck ging seine Vaterstadt in der die Marienkirche beschadigt worden sein konnte habe er an Coventry gedacht und nichts einzuwenden gegen die Lehre dass alles bezahlt werden muss Sein Sinn fur Gerechtigkeit werde auf eine besondere Probe gestellt werden falls das sogenannte Buddenbrook Haus in der Mengstrasse tatsachlich zerstort worden sei Diese Trummer nun wurden denjenigen nicht schrecken der nicht nur aus der Sympathie fur die Vergangenheit sondern aus der fur die Zukunft lebe Hitler Deutschland habe weder Tradition noch Zukunft Neben Lubeckern werde es auch Hamburger Kolner und Dusseldorfer geben die der Royal Air Force guten Erfolg wunschen wenn sie das Drohnen der Maschinen uber sich horen Klaus Harpprecht stellte angesichts dieser Erwagungen fest Thomas Mann scheine nicht in den Sinn gekommen zu sein dass die bei den Bombenangriffen in den Kellern verangstigten Menschen selbst wenn sie den Untergang des Regimes ersehnt hatten nichts als Angst um sich und ihre Familien gehabt hatten und Manns Sprache in diesem Augenblick die des Zeitgeistes gewesen sei der den todlichen Feind zu erkennen glaube Von Ernst Junger der wahrend des Vortrags der Deutschen Ansprache unter den SA Leuten war sich an den Storungen allerdings nicht direkt beteiligte gibt es keine wesentlichen und langeren Stellungnahmen zu Thomas Mann Erst spat ausserte er sich teilweise auch zu den Radioansprachen und bewertete sie negativ Wie er in einem Spiegel Gesprach Ein Bruderschaftstrinken mit dem Tod vom 16 August 1982 sagte habe er sich stets geargert wenn er wahrend einer BBC Sendung horte dass eine deutsche Stadt in Flammen aufgegangen sei und Thomas Mann seine Reden dazu hielt Andererseits bewunderte er ihn als grossen Stilisten der Verantwortung fur die deutsche Sprache gezeigt habe Die Ausserungen Thomas Manns die angesichts der Opfer des Luftkrieges im Nachhinein irritieren und sein uberzogener Glaube die Betroffenen in den bombardierten Stadten wie Hamburg Dusseldorf Koln und Essen wurden die angreifenden Piloten innerlich unterstutzen sind kein Einzelfall in seinem Spatwerk Sie konnen als Nachklang einer auch unter Exilanten in den 1930er Jahren verbreiteten Erwartung betrachtet werden es konne zum Widerstand gegen das Regime kommen was von den Alliierten ausdrucklich als einer der Grunde fur die Bombardements angegeben worden war AusgabenErstausgabe von 1942Deutsche Horer Eine Auswahl aus den Rundfunkbotschaften an das deutsche Volk Hrsg und Verlag Freier Deutscher Kulturbund in Grossbritannien o J 1944 Deutsche Horer 55 Radiosendungen nach Deutschland Bermann Fischer Stockholm 1945 Deutsche Horer 25 Radiosendungen nach Deutschland Bermann Fischer Stockholm 1942 Deutsche Horer 55 Radiosendungen nach Deutschland Insel Verlag Leipzig 1970 1971 Insel Bucherei 900 1975 2 Auflage Deutsche Horer Radiosendungen nach Deutschland Mit Europaische Horer Reihe Wissenschaft und Philosophie 10 Hrsg Europ Kulturgesellschaft Verlag Darmstadter Blatter Darmstadt 1986 ISBN 3 87139 089 5 Deutsche Horer Radiosendungen nach Deutschland aus den Jahren 1940 1945 Fischer TB 5003 Frankfurt 1987 ebd in Gesammelte Werke in 13 Banden Band 11 Reden und Aufsatze 3 2 durchges Aufl S Fischer Frankfurt 1974 1990 ISBN 3 10 048177 1 S 930 1050 LiteraturSonja Valentin Steine in Hitlers Fenster Thomas Manns Radiosendungen Deutsche Horer 1940 1945 Wallstein Gottingen 2015 ISBN 978 3 8353 1696 6 Tobias Temming Bruder Hitler Zur Bedeutung des politischen Thomas Mann Essays und Reden aus dem Exil WVB Wissenschafts Verlag Berlin 2008 ISBN 978 3 86573 377 1 Stefan Bodo Wurffel Untergangsvisionen Todesrhetorik und Katastrophenmusik beim spaten Thomas Mann In Thomas Sprecher Hrsg Lebenszauber und Todesmusik Zum Spatwerk Thomas Manns Die Davoser Literaturtage 2002 Thomas Mann Studien Klostermann Frankfurt am Main 2004 ISBN 3 465 03294 2 S 183 201 EinzelnachweiseTheo Stammen Thomas Mann und die politische Welt in Thomas Mann Handbuch Fischer Frankfurt 2005 S 45 Deutsche Horer 55 Radiosendungen nach Deutschland In Kindlers Neues Literatur Lexikon Kindler Munchen 1990 S 64 Stefan Bodo Wurffel Untergangsvisionen Todesrhetorik und Katastrophenmusik beim spaten Thomas Mann In Lebenszauber und Todesmusik Die Davoser Literaturtage 2002 Thomas Mann Studien Klostermann Frankfurt am Main 2004 S 186 Zit nach Stefan Bodo Wurffel Untergangsvisionen Todesrhetorik und Katastrophenmusik beim spaten Thomas Mann In Lebenszauber und Todesmusik Die Davoser Literaturtage 2002 Thomas Mann Studien Klostermann Frankfurt am Main 2004 S 186 Zit nach Christian Hulshorster Thomas Mann und Oskar Goldbergs Wirklichkeit der Hebraer Vittorio Klostermann Frankfurt am Main 1999 S 122 123 Zit nach Christian Hulshorster Thomas Mann und Oskar Goldbergs Wirklichkeit der Hebraer Vittorio Klostermann Frankfurt am Main 1999 S 123 Theo Stammen Thomas Mann und die politische Welt in Thomas Mann Handbuch Fischer Frankfurt 2005 S 44 Thomas Mann Deutsche Horer Funfundfunfzig Radiosendungen nach Deutschland In Thomas Mann Gesammelte Werke in dreizehn Banden Band 11 Reden und Aufsatze Fischer Frankfurt 1974 S 983 Auch das Abhoren von Sendern neutraler oder verbundeter Staaten war verboten wurde jedoch in Abhangigkeit von den verbreiteten Nachrichten geringer bestraft siehe Verordnung uber ausserordentliche Rundfunkmassnahmen Thomas Mann Deutsche Horer Funfundfunfzig Radiosendungen nach Deutschland In Thomas Mann Gesammelte Werke in dreizehn Banden Band 11 Reden und Aufsatze Fischer Frankfurt 1974 S 985 Angaben aus Thomas Mann Thomas Mann spricht zum deutschen Volk Essays Band 5 Deutschland und die Deutschen Kommentar Fischer Frankfurt 1996 S 354 Theo Stammen Thomas Mann und die politische Welt in Thomas Mann Handbuch Fischer Frankfurt 2005 S 45 Thomas Mann Deutsche Horer Sondersendung April 1942 in Funfundfunfzig Radiosendungen nach Deutschland Gesammelte Werke in dreizehn Banden Band 11 Reden und Aufsatze Fischer Frankfurt 1974 S 1034 Thomas Mann Deutsche Horer Sondersendung April 1942 in Funfundfunfzig Radiosendungen nach Deutschland Gesammelte Werke in dreizehn Banden Band 11 Reden und Aufsatze Fischer Frankfurt 1974 S 1035 Zit nach Stefan Bodo Wurffel Untergangsvisionen Todesrhetorik und Katastrophenmusik beim spaten Thomas Mann In Lebenszauber und Todesmusik Die Davoser Literaturtage 2002 Thomas Mann Studien Klostermann Frankfurt am Main 2004 S 185 Klaus Harpprecht Thomas Mann Eine Biographie Rowohlt Reinbek 1995 S 1280 So Hermann Kurzke Republikanische Politik In Thomas Mann Das Leben als Kunstwerk Beck Munchen 2006 S 365 Zit nach Hermann Kurzke Republikanische Politik In Thomas Mann Das Leben als Kunstwerk Beck Munchen 2006 S 366 Stefan Bodo Wurffel Untergangsvisionen Todesrhetorik und Katastrophenmusik beim spaten Thomas Mann In Lebenszauber und Todesmusik Die Davoser Literaturtage 2002 Thomas Mann Studien Klostermann Frankfurt am Main 2004 S 186 131 S Es gibt Ubersetzungen ins Engl Franz brasilianische Portugiesisch argentinische katalanische amp mexikanische Spanisch Auch Deutscher Bucherbund Stuttgart Ex Libris Zurich auch als Fischer TB ISBN 3 596 10321 5Werke von Thomas Mann Romane Buddenbrooks Konigliche Hoheit Der Zauberberg Joseph und seine Bruder Tetralogie Lotte in Weimar Doktor Faustus Der Erwahlte Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull Erzahlungen Novellen Vision Gefallen Der Wille zum Gluck Enttauschung Der Tod Der kleine Herr Friedemann Der Bajazzo Tobias Mindernickel Der Kleiderschrank Geracht Luischen Der Weg zum Friedhof Gladius Dei Tonio Kroger Tristan Die Hungernden Das Wunderkind Ein Gluck Beim Propheten Schwere Stunde Anekdote Das Eisenbahnungluck Wie Jappe und Do Escobar sich prugelten Der Tod in Venedig 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