Vergleichende Völkermordforschung auch als Komparative Genozidforschung bezeichnet ist eine Wissenschaftsdisziplin die s
Vergleichende Völkermordforschung

Vergleichende Völkermordforschung, auch als Komparative Genozidforschung bezeichnet, ist eine Wissenschaftsdisziplin, die sich mit der Untersuchung planvoller Massentötungen von Menschen befasst (auch Demozid oder Genozid genannt).
Geschichte
Als Gründer der Völkermordforschung gilt der polnisch-jüdische Anwalt Raphael Lemkin. Er verwendete im Jahre 1943 den Begriff „ludo-bójstwo“ von poln.: „lud“ = Volk und „zabójstwo“ = Mord, den er im Jahre 1944 mit dem engl. Begriff „genocide“ (von griech.: „genos“ = „Volk“ und lat.: caedere = „töten“) wiedergab.
Bereits 1933 nahm er den Völkermord an den Armeniern zum Anlass, auf eigene Initiative nach Madrid zu einer Tagung der Juristen des Völkerbundes zu reisen. Es gelang ihm dort jedoch nicht, die Annahme einer Konvention gegen die Vernichtung ganzer Völker durchzusetzen, wie sie den Armeniern 1915 unter den Jungtürken widerfahren war. Es dauerte noch anderthalb Jahrzehnte und bedurfte eines weiteren Weltkrieges, bis es zu der oben genannten UN-Resolution gegen Völkermord kam.
Lemkin schrieb im amerikanischen Exil ein Buch Axis Rule in Occupied Europe, das 1944 erschien, in dem er unter anderem den Begriff „genocide“ einführte und ihn als Zerstörung einer Nation oder einer ethnischen Gruppe definierte. In Lemkins Buch ist von den Juden nur als einer von zahlreichen nationalen oder ethnischen Gruppen die Rede. „Die Technik der Massentötung wird vor allem gegen Polen, Russen und Juden angewandt“, schrieb er. Er stellte die Vernichtung der Juden konsequent in die Reihe anderer „Genozide“, seien sie von den Nationalsozialisten begangen worden oder auch in früheren Epochen. Im Jahre 1946 schlug Lemkin der UNO eine Resolution gegen den Völkermord vor, die 1948 fast unverändert als Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes durch Beschluss der UN-Generalversammlung angenommen wurde.
Aktuelle Diskussion
Die vergleichende Untersuchung von Völkermorden wird bis heute sowohl von Teilen der Menschen, die auf der Seite der Täter, als auch von Teilen der Menschen, die auf der Seite der Opfer stehen, vehement abgelehnt. Wollen erstere die Taten vergessen machen, sehen letztere jeden Vergleich des Leides ihres Volkes als Relativierung oder gar Verhöhnung der Opfer an und können aufgrund der ihnen verursachten Leiden die Leiden der anderen nicht wahrnehmen. Seriöse Völkermordforscher betonen deshalb das Singuläre jedes einzelnen historischen Faktums, das als Völkermord bezeichnet werden kann; besonders im Sinne der Prävention zukünftiger Völkermorde halten sie es aber für sinnvoll und sogar notwendig, Kategorien zu erarbeiten, die strukturelle Vergleiche möglich machen.
Den gegenwärtigen wissenschaftlichen Forschungs- und internationalen Diskussionsstand der noch relativ jungen, international und transnational ausgerichteten vergleichenden Völkermordforschung („comparative genocide research“) repräsentieren zwei Kongresse in Europa (Sarejevo) und Lateinamerika (Buenos Aires) im Jahr 2007 (s. Weblinks). Dort wurden jeweils auch Aspekte von Früherkennung und Verhinderung von Völkermorden debattiert.
Umstritten ist die Frage, ob der Holocaust weiterhin als singulär und unvergleichbar gelten soll, wie es die ältere Holocaustforschung vertritt, oder ob er als ein Völkermord unter vielen kontextualisiert und etwa mit den Verbrechen aus der Zeit des Kolonialismus vergleichen werden sollte.
Literatur
- Richard Albrecht: Die politische Ideologie des objektiven Gegners und die ideologische Politik des Völkermords im 20. Jahrhundert: Prolegomena zu einer politischen Soziologie des Genozid nach Hannah Arendt. In: Sociologia Internationalis. 27 (1989) I, ISSN 0038-0164, S. 57–88.
- ders.: Genozidpolitik im 20. Jahrhundert. Shaker, Aachen
- Band 1: Völkermord(en). 2006, ISBN 3-8322-5055-7.
- Band 2: Armenozid. 2007, ISBN 978-3-8322-5738-5.
- Band 3: Hitlergeheimrede 22. August 1939. ISBN 978-3-8322-6695-0.
- Richard Albrecht: Murder(ing) People. Genocidal Policy Within 20th Century. 2009 (Textversion der dnb-Druckfassung).
- Boris Barth: Genozid. Völkermord im 20. Jahrhundert. Geschichte – Theorien – Kontroversen. C. H. Beck, München 2006, ISBN 3-406-52865-1.
- Donald Bloxham: The Great Game of Genocide. Imperialism, Nationalism, and the Destruction of the Ottoman Armenians. OUP, Oxford 2005, ISBN 0-19-927356-1.
- Micha Brumlik: Zu einer Theorie des Völkermords. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. 8.2004, ISSN 0006-4416, S. 923–932 (Textversion des FBI-Newsletters 2004).
- Vahakn N. Dadrian: A Typology of Genocide. In: International Review of Sociology. 5 (1975) 2, ISSN 0390-6701, S. 201–212.
- Stig Förster, Gerhard Hirschfeld (Hrsg.): Genozid in der modernen Geschichte. LIT, Münster 1999, ISBN 3-8258-4018-2.
- Heinsohn, Gunnar: Lexikon der Völkermorde. Rowohlt, Reinbek 1998, ISBN 3-499-22338-4.
- Irving Louis Horowitz: Genocide. State Power and Mass Murder. Transaction Books, New Brunswick (N.J.) 1976, ISBN 0-87855-620-6.
- Irving Louis Horowitz: Taking Lives. Genocide and State Power. Transaction Books, New Brunswick (N.J.) 1980, ISBN 0-7658-0094-2.
- Irving Louis Horowitz: Counting Bodies: the Dismal Science of Authorized Terror. In: Patterns of Precudice. 2.1989, ISSN 0031-322X, S. 4–15.
- Adam Jones (Hrsg.): Völkermord, Kriegsverbrechen und der Westen. Parthas-Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-86601-390-6.
- Raphael Lemkin: Axis Rule in Occupied Europe. Carnegy Endowment for International Peace Division of International Law, Washington (D.C.) 1944 (Reprint: The Lawbook Exchange 2005, ISBN 1-58477-576-9).
- Rudolph Rummel: Death by Government. Transaction Publishers, 1994.
- deutsche Ausgabe: Demozid – der befohlene Tod. Massenmorde im 20. Jahrhundert (= Macht und Gesellschaft. 2). LIT, Münster 2003, ISBN 3-8258-3469-7.
- Rudolph Rummel: Statistics of Democide: Genocide and Mass Murder since 1900 (= Macht und Gesellschaft. 1). LIT, Münster 1998, ISBN 3-8258-4010-7.
Weblinks
- International Network of Genocide Scholars, die Vereinigung führender Genozidforschender
- Institut für Diaspora- und Genozidforschung an der Ruhr-Universität Bochum
- genocidescholars.org Kongress in Sarajevo Juli 2007 (PDF-Datei; 334 kB)
- catedras.fsoc.uba.ar Kongress in Buenos Aires November 2007 (PDF-Datei; 742 kB)
Einzelnachweise
- zitiert nach: Rainer Huhle: „Kurze Geschichte eines unglücklichen Begriffs“ in: Einsicht 15, Bulletin des Fritz Bauer Instituts, Titelthema: Der Völkermord an den Armeniern 1915/16, Frühjahr 2016, 8. Jahrgang, ISSN 1868-4211, S. 30–37.
- Steffen Klävers: Decolonizing Auschwitz?: Komparativ-postkoloniale Ansätze in der Holocaustforschung. De Gruyter, Berlin/Boston 2019, ISBN 978-3-11-059762-2, S. 15–40; Shira Klein: The Growing Rift between Holocaust Scholars over Israel/Palestine. In: Journal of Genocide Research vom 8. Januar 2025, S. 1–21, hier S. 8 f.
Autor: www.NiNa.Az
Veröffentlichungsdatum:
wikipedia, wiki, deutsches, deutschland, buch, bücher, bibliothek artikel lesen, herunterladen kostenlos kostenloser herunterladen, MP3, Video, MP4, 3GP, JPG, JPEG, GIF, PNG, Bild, Musik, Lied, Film, Buch, Spiel, Spiele, Mobiltelefon, Mobil, Telefon, android, ios, apple, samsung, iphone, xiomi, xiaomi, redmi, honor, oppo, nokia, sonya, mi, pc, web, computer, komputer, Informationen zu Vergleichende Völkermordforschung, Was ist Vergleichende Völkermordforschung? Was bedeutet Vergleichende Völkermordforschung?
Vergleichende Volkermordforschung auch als Komparative Genozidforschung bezeichnet ist eine Wissenschaftsdisziplin die sich mit der Untersuchung planvoller Massentotungen von Menschen befasst auch Demozid oder Genozid genannt GeschichteAls Grunder der Volkermordforschung gilt der polnisch judische Anwalt Raphael Lemkin Er verwendete im Jahre 1943 den Begriff ludo bojstwo von poln lud Volk und zabojstwo Mord den er im Jahre 1944 mit dem engl Begriff genocide von griech genos Volk und lat caedere toten wiedergab Bereits 1933 nahm er den Volkermord an den Armeniern zum Anlass auf eigene Initiative nach Madrid zu einer Tagung der Juristen des Volkerbundes zu reisen Es gelang ihm dort jedoch nicht die Annahme einer Konvention gegen die Vernichtung ganzer Volker durchzusetzen wie sie den Armeniern 1915 unter den Jungturken widerfahren war Es dauerte noch anderthalb Jahrzehnte und bedurfte eines weiteren Weltkrieges bis es zu der oben genannten UN Resolution gegen Volkermord kam Lemkin schrieb im amerikanischen Exil ein Buch Axis Rule in Occupied Europe das 1944 erschien in dem er unter anderem den Begriff genocide einfuhrte und ihn als Zerstorung einer Nation oder einer ethnischen Gruppe definierte In Lemkins Buch ist von den Juden nur als einer von zahlreichen nationalen oder ethnischen Gruppen die Rede Die Technik der Massentotung wird vor allem gegen Polen Russen und Juden angewandt schrieb er Er stellte die Vernichtung der Juden konsequent in die Reihe anderer Genozide seien sie von den Nationalsozialisten begangen worden oder auch in fruheren Epochen Im Jahre 1946 schlug Lemkin der UNO eine Resolution gegen den Volkermord vor die 1948 fast unverandert als Konvention uber die Verhutung und Bestrafung des Volkermordes durch Beschluss der UN Generalversammlung angenommen wurde Aktuelle DiskussionDie vergleichende Untersuchung von Volkermorden wird bis heute sowohl von Teilen der Menschen die auf der Seite der Tater als auch von Teilen der Menschen die auf der Seite der Opfer stehen vehement abgelehnt Wollen erstere die Taten vergessen machen sehen letztere jeden Vergleich des Leides ihres Volkes als Relativierung oder gar Verhohnung der Opfer an und konnen aufgrund der ihnen verursachten Leiden die Leiden der anderen nicht wahrnehmen Seriose Volkermordforscher betonen deshalb das Singulare jedes einzelnen historischen Faktums das als Volkermord bezeichnet werden kann besonders im Sinne der Pravention zukunftiger Volkermorde halten sie es aber fur sinnvoll und sogar notwendig Kategorien zu erarbeiten die strukturelle Vergleiche moglich machen Den gegenwartigen wissenschaftlichen Forschungs und internationalen Diskussionsstand der noch relativ jungen international und transnational ausgerichteten vergleichenden Volkermordforschung comparative genocide research reprasentieren zwei Kongresse in Europa Sarejevo und Lateinamerika Buenos Aires im Jahr 2007 s Weblinks Dort wurden jeweils auch Aspekte von Fruherkennung und Verhinderung von Volkermorden debattiert Umstritten ist die Frage ob der Holocaust weiterhin als singular und unvergleichbar gelten soll wie es die altere Holocaustforschung vertritt oder ob er als ein Volkermord unter vielen kontextualisiert und etwa mit den Verbrechen aus der Zeit des Kolonialismus vergleichen werden sollte LiteraturRichard Albrecht Die politische Ideologie des objektiven Gegners und die ideologische Politik des Volkermords im 20 Jahrhundert Prolegomena zu einer politischen Soziologie des Genozid nach Hannah Arendt In Sociologia Internationalis 27 1989 I ISSN 0038 0164 S 57 88 ders Genozidpolitik im 20 Jahrhundert Shaker Aachen Band 1 Volkermord en 2006 ISBN 3 8322 5055 7 Band 2 Armenozid 2007 ISBN 978 3 8322 5738 5 Band 3 Hitlergeheimrede 22 August 1939 ISBN 978 3 8322 6695 0 Richard Albrecht Murder ing People Genocidal Policy Within 20th Century 2009 Textversion der dnb Druckfassung Boris Barth Genozid Volkermord im 20 Jahrhundert Geschichte Theorien Kontroversen C H Beck Munchen 2006 ISBN 3 406 52865 1 Donald Bloxham The Great Game of Genocide Imperialism Nationalism and the Destruction of the Ottoman Armenians OUP Oxford 2005 ISBN 0 19 927356 1 Micha Brumlik Zu einer Theorie des Volkermords In Blatter fur deutsche und internationale Politik 8 2004 ISSN 0006 4416 S 923 932 Textversion des FBI Newsletters 2004 Vahakn N Dadrian A Typology of Genocide In International Review of Sociology 5 1975 2 ISSN 0390 6701 S 201 212 Stig Forster Gerhard Hirschfeld Hrsg Genozid in der modernen Geschichte LIT Munster 1999 ISBN 3 8258 4018 2 Heinsohn Gunnar Lexikon der Volkermorde Rowohlt Reinbek 1998 ISBN 3 499 22338 4 Irving Louis Horowitz Genocide State Power and Mass Murder Transaction Books New Brunswick N J 1976 ISBN 0 87855 620 6 Irving Louis Horowitz Taking Lives Genocide and State Power Transaction Books New Brunswick N J 1980 ISBN 0 7658 0094 2 Irving Louis Horowitz Counting Bodies the Dismal Science of Authorized Terror In Patterns of Precudice 2 1989 ISSN 0031 322X S 4 15 Adam Jones Hrsg Volkermord Kriegsverbrechen und der Westen Parthas Verlag Berlin 2005 ISBN 3 86601 390 6 Raphael Lemkin Axis Rule in Occupied Europe Carnegy Endowment for International Peace Division of International Law Washington D C 1944 Reprint The Lawbook Exchange 2005 ISBN 1 58477 576 9 Rudolph Rummel Death by Government Transaction Publishers 1994 deutsche Ausgabe Demozid der befohlene Tod Massenmorde im 20 Jahrhundert Macht und Gesellschaft 2 LIT Munster 2003 ISBN 3 8258 3469 7 Rudolph Rummel Statistics of Democide Genocide and Mass Murder since 1900 Macht und Gesellschaft 1 LIT Munster 1998 ISBN 3 8258 4010 7 WeblinksInternational Network of Genocide Scholars die Vereinigung fuhrender Genozidforschender Institut fur Diaspora und Genozidforschung an der Ruhr Universitat Bochum genocidescholars org Kongress in Sarajevo Juli 2007 PDF Datei 334 kB catedras fsoc uba ar Kongress in Buenos Aires November 2007 PDF Datei 742 kB Einzelnachweisezitiert nach Rainer Huhle Kurze Geschichte eines unglucklichen Begriffs in Einsicht 15 Bulletin des Fritz Bauer Instituts Titelthema Der Volkermord an den Armeniern 1915 16 Fruhjahr 2016 8 Jahrgang ISSN 1868 4211 S 30 37 Steffen Klavers Decolonizing Auschwitz Komparativ postkoloniale Ansatze in der Holocaustforschung De Gruyter Berlin Boston 2019 ISBN 978 3 11 059762 2 S 15 40 Shira Klein The Growing Rift between Holocaust Scholars over Israel Palestine In Journal of Genocide Research vom 8 Januar 2025 S 1 21 hier S 8 f