Als Völkerstrafrecht wird die Gesamtheit der völkerrechtlichen Normen bezeichnet welche die Strafbarkeit einzelner Indiv
Völkerstrafrecht

Als Völkerstrafrecht wird die Gesamtheit der völkerrechtlichen Normen bezeichnet, welche die Strafbarkeit einzelner Individuen unmittelbar regeln. Völkerrechtsverbrechen sind der Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Verbrechen der Aggression. Bei diesen Verbrechen wird davon ausgegangen, dass ihre Auswirkungen über einen einzelnen Staat hinausgehen und die internationale Gemeinschaft insgesamt damit ein Interesse an einer strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen hat.
Zugleich erweisen sich das nationale Strafrecht und die nationale Justiz in diesen Fällen häufig als unzureichend. Da Völkerrechtsverbrechen in der Regel von Angehörigen eines Staatsapparats begangen oder zumindest unterstützt werden, können diese oftmals auf die nationale Strafverfolgung erheblichen Einfluss ausüben. Die hieraus folgende Straflosigkeit (englisch: impunity) der Täter wird nach heutigem Verständnis als Verstoß gegen die universell geltenden Menschenrechte der Opfer angesehen. Die Entwicklung des Völkerstrafrechts steht in engem Bezug zur Entwicklung der Menschenrechte. Während die Menschenrechte jedoch Individuen berechtigen, regelt das Völkerstrafrecht Verantwortung und Verpflichtung von Einzelpersonen. Dabei ist das Völkerstrafrecht – wie das Strafrecht allgemein – das schärfste Mittel (ultima ratio) und findet nur bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen Anwendung.
Das Völkerstrafrecht stellt eine entscheidende Veränderung zweier grundlegender Prinzipien des klassischen Völkerrechts dar. Indem es Einzelpersonen unmittelbar verpflichtet, stellt es einerseits einen Umbruch im hergebrachten völkerrechtlichen Verständnis dar, wonach allein Staaten Völkerrechtssubjekte sind. Zum anderen findet der Grundsatz der staatlichen Souveränität Einschränkungen, da schwere Menschenrechtsverletzungen nicht mehr als innere Angelegenheiten eines Staates angesehen werden, sondern international verfolgt werden können.
Neben den materiellrechtlichen Voraussetzungen, welche eine Strafbarkeit im Einzelnen festlegen, gehört auch das dazugehörige Prozessrecht zum Völkerstrafrecht. Hierzu gehören etwa Regelungen zur Verfahrensweise vor internationalen Strafgerichten. Die heute wichtigste Institution zur Durchsetzung des Völkerstrafrechts ist der Internationale Strafgerichtshof.
Geschichte
Ideen zur Schaffung einer internationalen Strafjustiz existieren historisch schon lange, doch erst im 20. Jahrhundert haben diese konkrete Gestalt angenommen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde im Versailler Vertrag die Anklage des deutschen Kaisers Wilhelm II. wegen internationaler Verbrechen vorgesehen. Aufgrund der Weigerung der Niederlande, Wilhelm II. auszuliefern, kam es aber nicht dazu (siehe auch: Leipziger Prozesse).
Die Geburtsstunde des Völkerstrafrechts war der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945/1946. Unter dem Eindruck der deutschen Vernichtungskriege in Europa während des Zweiten Weltkrieges und der staatlich organisierten Großverbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus wurde mit dem Londoner Statut erstmals ein völkerrechtlicher Vertrag geschaffen, welcher bisher teilweise ungeschriebene Strafnormen des Völkerrechts kodifizierte und die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Einzelpersonen unmittelbar nach Völkerrecht festschrieb. Eine dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg entsprechende Funktion hatte der Internationale Militärgerichtshof für den Fernen Osten. Diese Prozesse sowie die auf der Grundlage des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 (kein Völkerrecht) durchgeführten Prozesse, insbesondere die zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse, haben noch heute wichtige Bedeutung für die Bestimmung des völkergewohnheitsrechtlichen Umfangs des Völkerstrafrechts.
Während des Kalten Krieges stagnierte die Entwicklung des Völkerstrafrechts weitgehend. Zwar wurden die Rechtsprinzipien der Nürnberger Prozesse durch mehrere Resolutionen der UN-Vollversammlung bestätigt. Die UN-Völkerrechtskommission fasste diese in den sog. „Nürnberger Prinzipien“ zusammen und veröffentlichte mehrere Entwürfe für eine Kodifikation des Völkerstrafrechts. Eine tatsächliche Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen durch internationale Strafgerichte fand jedoch nicht statt.
Dies änderte sich erst 1993 durch die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (auch Jugoslawien-Tribunal oder ICTY genannt) sowie des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda (auch Ruanda-Tribunal oder ICTR genannt) im Jahr 1995. Diese vom UN-Sicherheitsrat eingesetzten Ad-hoc-Tribunale sind in ihrer Zuständigkeit zeitlich und räumlich begrenzt auf Völkerrechtsverbrechen im Zuge der Jugoslawienkriege seit 1991 bzw. den Völkermord in Ruanda im Jahr 1994. Durch ihre Rechtsprechung haben beide Ad-hoc-Strafgerichtshöfe in einer Reihe von Grundsatzentscheidungen wesentlich zur Fortentwicklung und Präzisierung des Völkerstrafrechts beigetragen.
Vorläufiger Höhepunkt der Entwicklung des Völkerstrafrechts war die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs mit Sitz in Den Haag durch das Römische Statut vom 17. Juli 1998. Nach Hinterlegung der 60. Ratifikationsurkunde hat der Gerichtshof am 1. Juli 2002 seine Arbeit aufgenommen. Erstmals in der Geschichte besteht ein ständiges internationales Gericht zur strafrechtlichen Verfolgung schwerster Menschenrechtsverletzungen. Gegenwärtig ist das Rom-Statut von 139 Staaten unterzeichnet und von 123 Staaten ratifiziert. Am 14. März 2012 fällte der IStGH im Prozess gegen Thomas Lubanga sein erstes Urteil.
Zur Umsetzung der Vorgaben aus dem Rom-Statut sind viele Staaten dazu übergegangen, völkerstrafrechtliche Regelungen in ihre nationalen Strafgesetze aufzunehmen. In Deutschland ist dies 2002 durch das Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches erfolgt. Im September 2015 ist vor dem 5. Strafsenat des OLG Stuttgart mit dem das erste Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch erstinstanzlich abgeschlossen worden. Nach über vier Jahren Hauptverhandlung wurden Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni zu 13 bzw. 8 Jahren Haft wegen der Förderung von Menschenrechtsverbrechen in Ruanda verurteilt.
Eine weitere neue Entwicklung im Völkerstrafrecht ist die Schaffung sog. Hybridgerichte in Sierra Leone und Kambodscha. Rechtsnachfolger der Ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda ist der Internationale Residualmechanismus für die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe.
Rechtsquellen
Das Völkerstrafrecht ist ein Teilgebiet des Völkerrechts. Es beruht daher auch auf den gleichen Rechtsquellen: Völkervertragsrecht, Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze (vgl. Art. 38 I lit a, b, c IGH Statut). Die wichtigste völkervertragliche Rechtsquelle ist das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes.
Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch ist (ebenso wie vergleichbare Regelungen in anderen Staaten) ein nationales Gesetz und keine völkerrechtliche Rechtsquelle. Es soll nach der Gesetzesbegründung den Stand des Völkerstrafrechts widerspiegeln.
Straftatbestände
Völkerrechtsverbrechen sind „schwerste Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“, (vgl. Abs. 4 der Präambel des IStGH-Statuts). Zu den Kernverbrechen (sog. core crimes) zählen:
- der Völkermord
- die Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
- die Kriegsverbrechen und
- das Verbrechen der Aggression (Angriffskrieg).
Allen vier Kernverbrechen ist gemeinsam, dass die jeweils aufgezählten Einzeltaten (z. B. Tötung eines Menschen) immer in einem bestimmten Gesamtkontext organisierter Gewalt (sog. Kontextelement) geschehen müssen, um die Tat insgesamt als Völkerrechtsverbrechen qualifizieren zu können. Dies ist Folge der Zielrichtung des Völkerstrafrechts, Makrokriminalität (in der Regel staatlich organisierte Verbrechen) zu verfolgen. Kontextelement der Kriegsverbrechen ist der bewaffnete Konflikt, bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit der ausgedehnte oder systematische Angriff gegen die Zivilbevölkerung, beim Völkermord die (Absicht zur) Zerstörung einer bestimmten Gruppe und beim Aggressionsverbrechen der staatliche Aggressionsakt.
Zuständige Gerichte
Das Völkerstrafrecht wird von nationalen Gerichten, internationalen Gerichten sowie in jüngster Zeit von Mischformen aus beiden (sog. Hybridgerichte) angewandt.
Völkerstrafrechtliche Gerichtsverfahren durch nationale Gerichte waren historisch z. B. die Nürnberger Nachfolgeprozesse oder das Verfahren gegen Adolf Eichmann vor dem Jerusalemer Bezirksgericht und sind gegenwärtig etwa Strafverfahren vor bundesdeutschen Gerichten nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Hierbei gilt das Weltrechtsprinzip: Da sich Völkerrechtsverbrechen gegen international geschützte Rechtsgüter richten, ist jeder Staat im Grundsatz auch zur Ahndung von Taten in anderen Staaten berechtigt, ohne dass ein spezifischer Bezug zu dieser Tat bestehen muss.
Zu den internationalen Gerichten zählen der Internationale Militärgerichtshof, das Jugoslawien- und das Ruandatribunal sowie in allererster Linie der Internationale Strafgerichtshof. Zum Verhältnis vom Internationalen Strafgerichtshof zu den nationalen Gerichten ist insbesondere zu beachten, dass der IStGH nur nachrangig zuständig ist, wenn der eigentlich zuständige Staat zur Strafverfolgung von Völkerrechtsverbrechen selbst nicht willens oder nicht in der Lage ist (Grundsatz der Komplementarität, vgl. Art. 17 IStGH-Statut).
Hybridstrafgerichte beruhen sowohl auf nationalen als auch auf völkerrechtlichen Rechtsgrundlagen und setzen sich aus nationalen und internationalen Richterinnen und Richtern zusammen. Hierzu zählt etwa der Sondergerichtshof für Sierra Leone oder das Rote-Khmer-Tribunal.
Literatur
- M. Cherif Bassiouni: Introduction to International Criminal Law. 2. Auflage. 2012, ISBN 90-04-18644-1.
- Antonio Cassese, Paola Gaeta (Hrsg.): Cassese's International Criminal Law. 3. Auflage. 2013, ISBN 0-19-969492-3.
- Robert Cryer, Darryl Robinson, Sergey Vasiliev: An Introduction to International Criminal Law and Procedure. 4. Auflage. Cambridge 2019, ISBN 978-1-108-48192-2.
- Sabine Gleß: Internationales Strafrecht - Grundriss für Studium und Praxis. 3. Auflage. Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel 2021, ISBN 978-3-7190-4413-8, S. 253 ff.
- Gerd Hankel, Gerhard Stuby (Hrsg.): Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen. Zum Völkerstrafrecht 50 Jahre nach den Nürnberger Prozessen. 1995, ISBN 3-930908-10-7.
- Wolfgang Kaleck: Mit zweierlei Maß. Der Westen und das Völkerstrafrecht. Wagenbach, Berlin 2012.
- Hans-Heiner Kühne, Robert Esser, Marc Gerding: Völkerstrafrecht. 12 Beiträge zum internationalen Strafrecht und Völkerstrafrecht. Julius Jonscher Verlag, Osnabrück 2007, ISBN 3-9811399-1-7.
- Andrés Payer: Einführung in das Völkerstrafrecht. In: JURA – Juristische Ausbildung. Band 44 (2022), Nr. 5. De Gruyter, 2022, S. 579–587.
- Gerhard Werle: Völkerstrafrecht. 3. Auflage. 2012, ISBN 978-3-16-151837-9.
Weblinks
- Datenbank Völkerstrafrecht (Legal-Tools-Projekt des Internationalen Strafgerichtshofs)
Einzelnachweise
- Resolution des UN-Sicherheitsrates Nr. 827 vom 25. Mai 1993
- Resolution des UN-Sicherheitsrates Nr. 955 vom 8. November 1994 (PDF; 48 kB)
- Website IStGH ( des vom 23. März 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , abgerufen am 27. Februar 2015.
- Dokumentation des FDLR-Prozesses der taz
- Lange Haftstrafen für FDLR-Milizenführer. In: Legal Tribune Online, 28. September 2015; Kommentar aus Strafverteidigersicht. In: Legal Tribune Online, 28. September 2015.
- Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 14/8524 (PDF; 688 kB).
- Gerhard Werle: Völkerstrafrecht. 3. Auflage. Tübingen 2012, Rn. 403.
Autor: www.NiNa.Az
Veröffentlichungsdatum:
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Als Volkerstrafrecht wird die Gesamtheit der volkerrechtlichen Normen bezeichnet welche die Strafbarkeit einzelner Individuen unmittelbar regeln Volkerrechtsverbrechen sind der Volkermord Kriegsverbrechen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Verbrechen der Aggression Bei diesen Verbrechen wird davon ausgegangen dass ihre Auswirkungen uber einen einzelnen Staat hinausgehen und die internationale Gemeinschaft insgesamt damit ein Interesse an einer strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen hat Logo des Internationalen Strafgerichtshofes Zugleich erweisen sich das nationale Strafrecht und die nationale Justiz in diesen Fallen haufig als unzureichend Da Volkerrechtsverbrechen in der Regel von Angehorigen eines Staatsapparats begangen oder zumindest unterstutzt werden konnen diese oftmals auf die nationale Strafverfolgung erheblichen Einfluss ausuben Die hieraus folgende Straflosigkeit englisch impunity der Tater wird nach heutigem Verstandnis als Verstoss gegen die universell 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materiellrechtlichen Voraussetzungen welche eine Strafbarkeit im Einzelnen festlegen gehort auch das dazugehorige Prozessrecht zum Volkerstrafrecht Hierzu gehoren etwa Regelungen zur Verfahrensweise vor internationalen Strafgerichten Die heute wichtigste Institution zur Durchsetzung des Volkerstrafrechts ist der Internationale Strafgerichtshof Dieser Artikel oder nachfolgende Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen beispielsweise Einzelnachweisen ausgestattet Angaben ohne ausreichenden Beleg konnten demnachst entfernt werden Bitte hilf Wikipedia indem du die Angaben recherchierst und gute Belege einfugst GeschichteAcht der 24 Hauptangeklagten im Nurnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher Goring Hess von Ribbentrop Keitel vordere Reihe von links Donitz Raeder von Schirach und Sauckel dahinter Ideen zur Schaffung einer internationalen Strafjustiz existieren historisch schon lange doch erst im 20 Jahrhundert haben diese konkrete Gestalt angenommen Nach dem Ersten Weltkrieg 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10 kein Volkerrecht durchgefuhrten Prozesse insbesondere die zwolf Nurnberger Nachfolgeprozesse haben noch heute wichtige Bedeutung fur die Bestimmung des volkergewohnheitsrechtlichen Umfangs des Volkerstrafrechts Wahrend des Kalten Krieges stagnierte die Entwicklung des Volkerstrafrechts weitgehend Zwar wurden die Rechtsprinzipien der Nurnberger Prozesse durch mehrere Resolutionen der UN Vollversammlung bestatigt Die UN Volkerrechtskommission fasste diese in den sog Nurnberger Prinzipien zusammen und veroffentlichte mehrere Entwurfe fur eine Kodifikation des Volkerstrafrechts Eine tatsachliche Verfolgung von Volkerrechtsverbrechen durch internationale Strafgerichte fand jedoch nicht statt Dies anderte sich erst 1993 durch die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs fur das ehemalige Jugoslawien auch Jugoslawien Tribunal oder ICTY genannt sowie des Internationalen Strafgerichtshofs fur Ruanda auch Ruanda Tribunal oder ICTR genannt im Jahr 1995 Diese vom UN Sicherheitsrat eingesetzten Ad hoc Tribunale sind in ihrer Zustandigkeit zeitlich und raumlich begrenzt auf Volkerrechtsverbrechen im Zuge der Jugoslawienkriege seit 1991 bzw den Volkermord in Ruanda im Jahr 1994 Durch ihre Rechtsprechung haben beide Ad hoc Strafgerichtshofe in einer Reihe von Grundsatzentscheidungen wesentlich zur Fortentwicklung und Prazisierung des Volkerstrafrechts beigetragen Vorlaufiger Hohepunkt der Entwicklung des Volkerstrafrechts war die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs mit Sitz in Den Haag durch das Romische Statut vom 17 Juli 1998 Nach Hinterlegung der 60 Ratifikationsurkunde hat der Gerichtshof am 1 Juli 2002 seine Arbeit aufgenommen Erstmals in der Geschichte besteht ein standiges internationales Gericht zur strafrechtlichen Verfolgung schwerster Menschenrechtsverletzungen Gegenwartig ist das Rom Statut von 139 Staaten unterzeichnet und von 123 Staaten ratifiziert Am 14 Marz 2012 fallte der IStGH im Prozess gegen Thomas Lubanga sein erstes Urteil Zur Umsetzung der Vorgaben aus dem Rom Statut sind viele Staaten dazu ubergegangen volkerstrafrechtliche Regelungen in ihre nationalen Strafgesetze aufzunehmen In Deutschland ist dies 2002 durch das Inkrafttreten des Volkerstrafgesetzbuches erfolgt Im September 2015 ist vor dem 5 Strafsenat des OLG Stuttgart mit dem das erste Verfahren nach dem Volkerstrafgesetzbuch erstinstanzlich abgeschlossen worden Nach uber vier Jahren Hauptverhandlung wurden Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni zu 13 bzw 8 Jahren Haft wegen der Forderung von Menschenrechtsverbrechen in Ruanda verurteilt Eine weitere neue Entwicklung im Volkerstrafrecht ist die Schaffung sog Hybridgerichte in Sierra Leone und Kambodscha Rechtsnachfolger der Ad hoc Tribunale fur das ehemalige Jugoslawien und Ruanda ist der Internationale Residualmechanismus fur die Ad hoc Strafgerichtshofe RechtsquellenDas Volkerstrafrecht ist ein Teilgebiet des Volkerrechts Es beruht daher auch auf den gleichen Rechtsquellen Volkervertragsrecht Volkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsatze vgl Art 38 I lit a b c IGH Statut Die wichtigste volkervertragliche Rechtsquelle ist das Romische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes Das deutsche Volkerstrafgesetzbuch ist ebenso wie vergleichbare Regelungen in anderen Staaten ein nationales Gesetz und keine volkerrechtliche Rechtsquelle Es soll nach der Gesetzesbegrundung den Stand des Volkerstrafrechts widerspiegeln StraftatbestandeVolkerrechtsverbrechen sind schwerste Verbrechen welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes beruhren vgl Abs 4 der Praambel des IStGH Statuts Zu den Kernverbrechen sog core crimes zahlen der Volkermord die Verbrechen gegen die Menschlichkeit die Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression Angriffskrieg Allen vier Kernverbrechen ist gemeinsam dass die jeweils aufgezahlten Einzeltaten z B Totung eines Menschen immer in einem bestimmten Gesamtkontext organisierter Gewalt sog Kontextelement geschehen mussen um die Tat insgesamt als Volkerrechtsverbrechen qualifizieren zu konnen Dies ist Folge der Zielrichtung des Volkerstrafrechts Makrokriminalitat in der Regel staatlich organisierte Verbrechen zu verfolgen Kontextelement der Kriegsverbrechen ist der bewaffnete Konflikt bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit der ausgedehnte oder systematische Angriff gegen die Zivilbevolkerung beim Volkermord die Absicht zur Zerstorung einer bestimmten Gruppe und beim Aggressionsverbrechen der staatliche Aggressionsakt Zustandige GerichteDas Gebaude des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag Das Volkerstrafrecht wird von nationalen Gerichten internationalen Gerichten sowie in jungster Zeit von Mischformen aus beiden sog Hybridgerichte angewandt Volkerstrafrechtliche Gerichtsverfahren durch nationale Gerichte waren historisch z B die Nurnberger Nachfolgeprozesse oder das Verfahren gegen Adolf Eichmann vor dem Jerusalemer Bezirksgericht und sind gegenwartig etwa Strafverfahren vor bundesdeutschen Gerichten nach dem Volkerstrafgesetzbuch Hierbei gilt das Weltrechtsprinzip Da sich Volkerrechtsverbrechen gegen international geschutzte Rechtsguter richten ist jeder Staat im Grundsatz auch zur Ahndung von Taten in anderen Staaten berechtigt ohne dass ein spezifischer Bezug zu dieser Tat bestehen muss Zu den internationalen Gerichten zahlen der Internationale Militargerichtshof das Jugoslawien und das Ruandatribunal sowie in allererster Linie der Internationale Strafgerichtshof Zum Verhaltnis vom Internationalen Strafgerichtshof zu den nationalen Gerichten ist insbesondere zu beachten dass der IStGH nur nachrangig zustandig ist wenn der eigentlich zustandige Staat zur Strafverfolgung von Volkerrechtsverbrechen selbst nicht willens oder nicht in der Lage ist Grundsatz der Komplementaritat vgl Art 17 IStGH Statut Hybridstrafgerichte beruhen sowohl auf nationalen als auch auf volkerrechtlichen Rechtsgrundlagen und setzen sich aus nationalen und internationalen Richterinnen und Richtern zusammen Hierzu zahlt etwa der Sondergerichtshof fur Sierra Leone oder das Rote Khmer Tribunal LiteraturM Cherif Bassiouni Introduction to International Criminal Law 2 Auflage 2012 ISBN 90 04 18644 1 Antonio Cassese Paola Gaeta Hrsg Cassese s International Criminal Law 3 Auflage 2013 ISBN 0 19 969492 3 Robert Cryer Darryl Robinson Sergey Vasiliev An Introduction to International Criminal Law and Procedure 4 Auflage Cambridge 2019 ISBN 978 1 108 48192 2 Sabine Gless Internationales Strafrecht Grundriss fur Studium und Praxis 3 Auflage Helbing Lichtenhahn Verlag Basel 2021 ISBN 978 3 7190 4413 8 S 253 ff Gerd Hankel Gerhard Stuby Hrsg Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen Zum Volkerstrafrecht 50 Jahre nach den Nurnberger Prozessen 1995 ISBN 3 930908 10 7 Wolfgang Kaleck Mit zweierlei Mass Der Westen und das Volkerstrafrecht Wagenbach Berlin 2012 Hans Heiner Kuhne Robert Esser Marc Gerding Volkerstrafrecht 12 Beitrage zum internationalen Strafrecht und Volkerstrafrecht Julius Jonscher Verlag Osnabruck 2007 ISBN 3 9811399 1 7 Andres Payer Einfuhrung in das Volkerstrafrecht In JURA Juristische Ausbildung Band 44 2022 Nr 5 De Gruyter 2022 S 579 587 Gerhard Werle Volkerstrafrecht 3 Auflage 2012 ISBN 978 3 16 151837 9 WeblinksDatenbank Volkerstrafrecht Legal Tools Projekt des Internationalen Strafgerichtshofs EinzelnachweiseResolution des UN Sicherheitsrates Nr 827 vom 25 Mai 1993 Resolution des UN Sicherheitsrates Nr 955 vom 8 November 1994 PDF 48 kB Website IStGH Memento des Originals vom 23 Marz 2013 im Internet Archive Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 abgerufen am 27 Februar 2015 Dokumentation des FDLR Prozesses der taz Lange Haftstrafen fur FDLR Milizenfuhrer In Legal Tribune Online 28 September 2015 Kommentar aus Strafverteidigersicht In Legal Tribune Online 28 September 2015 Gesetzesbegrundung BT Drucks 14 8524 PDF 688 kB Gerhard Werle Volkerstrafrecht 3 Auflage Tubingen 2012 Rn 403 Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten