Dieser Artikel behandelt vor allem das biblische Gebot der Nächstenliebe Zur allgemeinen Selbstlosigkeit siehe Altruismu
Nächstenliebe

Als Nächstenliebe wird ein helfendes Handeln für andere Menschen bezeichnet. Sie beinhaltet jede dem Wohlergehen des Mitmenschen zugewandte, uneigennützige Handlung, nicht unbedingt eine emotionale Sympathie. Der „Nächste“ kann jeder Mensch in einer konkreten Notlage sein, der einem begegnet.
Der Begriff stammt aus einem Gebot der Tora des Judentums:
„An den Kindern deines Volkes sollst du dich nicht rächen und ihnen nichts nachtragen. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin JHWH.“
Durch die Tora-Auslegung Jesu von Nazaret wurde Nächstenliebe auch ein Zentralbegriff des Christentums, der in der Ethik der Antike neben den Grundwert Gerechtigkeit trat.
Heute wird Nächstenliebe weitgehend mit selbstlosem Eintreten für Andere (Altruismus) ohne Rücksicht auf deren soziale Stellung oder Verdienste gleichgesetzt. Dieses gilt nicht als „Begleiterscheinung des Mitleids, sondern eine die fremde Person als etwas Wertvolles intendierendes Fühlen und Streben, ein von Wohlwollen bestimmtes Bezogensein auf den anderen Menschen“. Entsprechende soziale Regeln und Normen sind in den meisten Religionen und Philosophien als ethisches Grundmotiv, die sogenannte Goldene Regel, verankert und als menschliches Verhalten überall anzutreffen.
Hebräische Bibel
Im Tanach, der Bibel des Judentums, ist das Gebot der Nächstenliebe auf ein vorhergehendes, befreiendes und rettendes Handeln JHWHs, des Gottes der Israeliten, bezogen und soll diesem entsprechen. Sie hat also dieselbe, proexistente Zielrichtung wie das Handeln Gottes selber. Das Gebot gilt im Judentum mit der ganzen Tora (1.–5. Buch Mose) als Wort Gottes und damit als Grundsatz und Leitforderung für das ganze Leben. Für die Rabbiner ist es im Anschluss an die Prophetie im Tanach ebenso wesentlich für den jüdischen Gottesdienst wie die Gottesliebe (siehe Jüdische Ethik). Seine Reichweite wurde seit etwa 200 v. Chr. im Judentum diskutiert: Manche Gruppen schlossen Nichtjuden davon aus, andere bezogen alle Menschen ein. Letztere Deutung setzte sich im Judentum bis etwa 100 n. Chr. durch.
Der Begriff des Nächsten
Im Tanach ist der „Nächste“ immer ein bestimmter, aktuell begegnender oder zum Gesichtskreis eines Israeliten gehörender „Mitmensch“. Die Nähe ergibt sich meist aus einer konkreten Beziehung zu ihm. Das Substantiv reah kann für „Verwandter“ (Ex 2,13 EU), „Nachbar“ (Spr 3,29 EU), „Freund“ (1. Samuel 20,41 EU), „Geliebter“ (Hld 5,16 EU) oder „Anderer“ (Gen 11,3 EU) stehen. Auch dort, wo es im Kontrast zum „Fremden“ ausdrücklich den „Volksgenossen“ meint (Ex 11,2 EU; Ex 12,35 EU), zielt es auf ein allgemeingültiges Verhältnis oder Verhalten (Ex 33,11 EU). Demgemäß übersetzte die Septuaginta das Wort meist mit griechisch pläsion („Anderer, Mitmensch“).
In der Tora erscheint reah zusammen mit isch („Mensch“) oder als Objekt bestimmter Sozialgebote für das Bundesvolk Israel: etwa in denjenigen der Zehn Gebote, die das Falschzeugnis gegen den Nächsten und das Begehren seiner Angehörigen und Besitztümer untersagen (Ex 20,16f EU). Sie sind nach der Präambel (Ex 20,2 EU) im Zentralereignis der jüdischen Religion begründet, der Befreiung aus der Sklaverei beim Auszug aus Ägypten. So ist der Nächste zum einen jeder mit den Hebräern befreite und zum Bundespartner Gottes erwählte Israelit, zum anderen tendieren die auf den Nächsten bezogenen Dekaloggebote auf allgemeine Geltung im Bereich der Schöpfung. So macht Gott den als Mitmenschen zu seinem Ebenbild geschaffenen Menschen (Gen 1,26 EU) für die Bewahrung allen Lebens verantwortlich (Gen 2,15.18 EU).
Kontext und Sinn des Gebots
Das Gebot der Nächstenliebe steht im Zentrum des Kapitels Lev 19 EU im Heiligkeitsgesetz, das wesentliche Grundforderungen Gottes zusammenstellt. Diese reden wie die Zehn Gebote jeden einzelnen Israeliten und zugleich das erwählte Volk insgesamt an („Du … ihr“), sind meist apodiktisch formuliert und betreffen dieselben Bereiche: Elternehrung (19,3.31), Sabbat (19,3b.30), Heiligung des Gottesnamens (19,12), Götterbilder und Fremdkulte (19,4.26–29), Sozialverhalten (19,9–18). Das intendierte Verhalten soll Gottes Heiligkeit entsprechen, der sich nach jüdischem Glauben in der Geschichte offenbart und am Ende durchsetzen wird. Daher ist das Verb auch indikativisch übersetzbar:
„Du sollst [wirst] keine Nachlese von deiner Ernte halten …
Du sollst sie dem Armen und dem Fremden überlassen. Ich bin der Herr, euer Gott.
Ihr sollt nicht stehlen, nicht täuschen und einander nicht betrügen.
Du sollst deinen Nächsten nicht ausbeuten und ihn nicht um das Seine bringen.
Der Lohn des Tagelöhners soll nicht über Nacht bis zum Morgen bei dir bleiben.
Du sollst einen Tauben nicht verfluchen und einem Blinden kein Hindernis in den Weg stellen; vielmehr sollst du deinen Gott fürchten. Ich bin der Herr.
Ihr sollt in der Rechtsprechung kein Unrecht tun. Du sollst weder für einen Geringen noch für einen Großen Partei nehmen; gerecht sollst du deinen Stammesgenossen richten.
Du sollst deinen Stammesgenossen nicht verleumden und dich nicht hinstellen und das Leben deines Nächsten fordern. Ich bin der Herr.
Du sollst in deinem Herzen keinen Hass gegen deinen Bruder tragen. Weise deinen Stammesgenossen zurecht, so wirst du seinetwegen keine Schuld auf dich laden.
An den Kindern deines Volkes sollst du dich nicht rächen und ihnen nichts nachtragen.“
Als positives Gegenteil zu all diesen von Gott abgelehnten Verhaltensweisen wird zum Schluss der Reihe Nächstenliebe geboten. Diese soll also eine umfassende Verhaltensänderung in der ganzen Volksgemeinde bewirken. Unrechtes Handeln soll in dem von Gott erwählten Volk dauerhaft überwunden, ausgeschlossen und durch dem Nächsten zugewandtes Handeln abgelöst werden. Dieses wird gegen Hass, Rache und Nachtragen in einem Streit unter Brüdern gestellt und schließt darum Versöhnung mit Feinden ein.
Wenige Verse darauf folgt das Gebot der Fremdenliebe (19,33f), das wiederum ausdrücklich mit der Befreiung der Israeliten aus Ägypten begründet und – wie jeder thematische Abschnitt der Reihe und viele Sozialgebote der Tora – mit der Selbstvorstellungsformel Ich bin JHWH bekräftigt wird. Der Kapitelschluss fasst nochmals zusammen: Ich bin der Herr, euer Gott, der euch aus Ägypten geführt hat. Damit wird die Befolgung des hier geoffenbarten göttlichen Heilswillens dem Belieben der Menschen entzogen und für die gesamte Gemeinschaft vor Gott verbindlich gemacht: Die menschliche Nächstenliebe soll dem befreienden und rettenden Handeln Gottes in Israels Geschichte antworten und entsprechen.
Dass das Gebot der Nächstenliebe in der Tora auch Fremde bzw. Ausländer umfasst (Ex 23,4-5; Lev 19,18), bewahren und bestätigen spätere Bibeltexte, die die gebotene Feindeshilfe an Beispielen veranschaulichen (so Spr 20,22 EU; 24,17 EU; 24,29 EU; 25,21f. EU; Sir 28,7 EU;Hiob 31,29f. EU).
Schutzrechte für die Armen und Fremden
Nächstenliebe ist nach dem Eigenkontext des Gebots keine reine Emotion und freiwillige Zusatzleistung, sondern Pflichthandeln jedes Israeliten, das vorrangig den Bedürftigen zugutekommen soll. Deshalb ist sie kein Gegensatz zum „Zurechtweisen“ eines Streitgegners, sondern erinnert diesen an das Lebensrecht der Recht- und Besitzlosen. Sie gilt gerade den Randgruppen, Unterdrückten und Benachteiligten und wird daher in zahlreichen Einzelgeboten konkretisiert, etwa:
- der Überlassung des Ernterestes,
- sofortiger Auszahlung des Tagelohns,
- Verbot von Diebstahl, Raub, Täuschung, Betrug, Übervorteilung, Verleumdung, parteilicher Rechtsprechung usw.
Vor der Unterdrückung der Fremden warnt die Tora mehrfach (Ex 22,20–23; 23,6.9). Sie werden den „Witwen und Waisen“, das heißt den mittellosen Randgruppen ohne Versorger, an die Seite gestellt und erhalten wie diese die Zusage, dass JHWH ihr Schreien erhören werde. Sie zu kleiden, zu speisen und zu lieben wird gesondert geboten (Dtn 10,19). Die Ernteabgabe des Zehnten soll alle drei Jahre an die Fremden, die Witwen und Waisen im Land fließen (Dtn 14,28f).
Besonderes Augenmerk widmet die Tora Schutzrechten, die bedrohte Randgruppen vor völligem Ausgeliefertsein schützen sollen. Das Pfandrecht wird durch das Existenzminimum begrenzt, dazu wird das Pfänden des einzigen Mantels eines Obdachlosen verboten (Ex 22,25f EU; Dtn 24,6.10–13 EU). Auch das Verbot des Zinsnehmens (Ex 22,24 EU; Dtn 23,20f EU; Lev 25,35ff EU) dient dem Schutz des Nächsten vor Verschuldung; ausgenommen werden in Dtn 23,21 EU nur ausländische Händler. Im Erlassjahr soll alle sieben Jahre jeder aus Notlagen heraus veräußerte Landbesitz wieder an den ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben werden, damit jeder Israelit sein Auskommen hat (Lev 25 EU; Dtn 15 EU).
Jüdische Auslegungen
In den vorchristlichen jüdischen Schriften wurden die Toragebote bereits auf Gottes- und Nächstenliebe konzentriert. Die um 200 v. Chr. entstandenen Testamente der zwölf Patriarchen enthalten folgende Aussagen: „Liebet den Herrn in eurem ganzen Leben und einander mit wahrhaftigem Herzen.“ (TestDan 5,3) „… liebt den Herrn und den Nächsten, des Schwachen und Armen erbarmt euch.“ (TestIss 5,1f) „Den Herrn liebte ich und ebenso jeden Menschen mit aller meiner Kraft und von ganzem Herzen. Das tut auch ihr.“ (TestIss 7,6)
Die Rabbiner diskutierten den Geltungsbereich von Lev 19,18 um die Zeitenwende intensiv. Der ausgrenzenden Ansicht, der Nächste umfasse nur Mitjuden und Proselyten, stellten andere die Meinung gegenüber, auch Samaritaner gehörten zu den wahren Proselyten (Rabbi Akiba, bQuid 75b) oder Juden (Rabbi Gamaliel II., yKet 3,1; 27a). Ein wohl während der jüdischen Aufstände verfasster Traktat (ARN A 16) verwies auf Ps 139,21f EU. Danach habe König David gesagt: Die dich hassen, Herr, will ich hassen … als Feinde gelten sie mir. Daraus wurde gefolgert: Wenn er [der Fremde] wie dein Volk handelt, sollst du ihn lieben, wenn aber nicht, sollst du ihn nicht lieben. Dem widersprachen andere mit Verweis auf Lev 19,17, das Hass gegen den Bruder verbietet; damit sei potentiell jeder Mensch gemeint.
Mischna und Talmud sammelten diese Dispute der Schriftlehrer zur Gottes- und Nächstenliebe. Einer der bedeutendsten unter ihnen war Hillel, dessen Auslegungen der Talmud denen des Schriftgelehrten Schammai gegenüberstellt:
„Wiederum geschah es, dass einer aus den [heidnischen] Völkern vor Schammai kam und zu ihm sagte: Mache mich zum Proselyten unter der Bedingung, dass du mich die ganze Thora lehrst, während ich auf einem Bein stehe. Da jagte Schammai ihn mit dem Maurermeßbrett davon, das er gerade zur Hand hatte. Als er mit dem gleichen Anliegen zu Hillel kam, sagte dieser zu ihm: Was dir selbst zuwider ist, das tue deinem Nächsten nicht an. Das ist die Thora ganz und gar, alles andere ist ihre Auslegung. Geh und lerne das.“
Die hier negativ als Ausschluss von Gewalt und Missgunst formulierte Goldene Regel bezeichnete auch der kurz nach Hillel lehrende Akiba als Hauptregel der Tora. Er verstand Lev 19,18 als „großen umfassenden Grundsatz“, der die Auslegung der übrigen Gebote regieren sollte. Jochanan ben Sakkai sah nach der Tempelzerstörung in den „Liebeserweisen“ einen gültigen Ersatz für die Tempelopfer.
Für die meisten Rabbinen impliziert Nächstenliebe Liebe zum „Fremdling“ (Dtn 10,19) und zum Feind, also Langmut, Verzeihen und Vergeltung von Bösem mit Gutem. Die Liebe zum Mitmenschen ist in der jüdischen Tradition verbunden mit einem bleibenden Sinn für die Würde und den Wert jedes einzelnen Menschen als einer Person.
In der nachtalmudischen jüdischen Exegese wurde vor allem die Bedeutung des Satzteils „wie dich selbst“ diskutiert. So schrieb der in Aleppo lebende Rabbiner Samuel Laniado nach 1550 dazu:
„Erstens, wenn die Seelen so sind, wie sie sein sollten, so sind sie alle ein Teil Gottes. Und da die Seele eines Menschen und die Seele seines Nächsten beide auf dem gleichen Thron der Pracht geschnitzt wurden, darum ist das Gebot ‚du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst’ wörtlich zu verstehen, denn der Nächste ist wie du. Und zweitens, wenn deine Liebe zu deinem Nächsten der Liebe zu dir selbst gleich ist, so erachte ich das als Liebe zu Mir, denn ich bin JHWH.“
Dieser Auffassung („Liebe deinen Nächsten, er ist wie du“) folgt auch die deutschjüdische Bibelübersetzung Die Schrift von Martin Buber und Franz Rosenzweig: „Heimzahle nicht und grolle nicht den Söhnen deines Volkes:/ liebe deinen Genossen/ dir gleich/ ICH.“ (ER RIEF 19:18)
Neues Testament
Das Neue Testament setzt das Toragebot der Nächstenliebe als bekannt und gültig voraus. Jesus von Nazaret nahm am damaligen rabbinischen Auslegungsdisput um die Reichweite des Gebots teil. Neben den synoptischen Evangelien wird es auch in den Paulusbriefen, im Jakobusbrief und den Johannesbriefen öfter zitiert und kommentiert.
Das Doppelgebot der Liebe
Auf die Frage eines Schriftgelehrten (grammatikos) in Jerusalem nach dem wichtigsten – ersten – Gebot, die damals im Judentum diskutiert wurde, antwortet Jesus (Mk 12,29 ff EU):
„Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft.
Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.“
Das erste Gebot wird hier nach Dtn 6,5 EU als Schma Jisrael (Höre Israel, dein Gott ist einer …) zitiert und über die Fragestellung hinaus mit dem Zitat von Lev 19,18 kombiniert. Damit begründete Jesus die im damaligen Judentum schon bekannte Konzentration aller Gebote auf die Gottes- und Nächstenliebe erstmals mit der direkten Gleichstellung dieser beiden Toragebote. Dem entspricht die Zustimmung des Schriftlehrers in Mk 12,32 ff EU:
„Da sagte der Schriftgelehrte zu ihm: Sehr gut, Meister! Ganz richtig hast du gesagt: Er allein ist der Herr, und es gibt keinen anderen außer ihm, und ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer.“
Dieser Kommentar entspricht Jesu Auslegung des Gebots Du sollst nicht töten (Ex 20,13 EU) nach Mt 5,21–26 EU: Dort wird das Opfern im Tempel ohne vorherige Versöhnung mit dem Bruder, also Gottesliebe ohne Nächstenliebe, zurückgewiesen.
„Jesus sah, dass er mit Verständnis geantwortet hatte, und sagte zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes.“
Mit dieser Zusage wird gegen die sonstige Tendenz des Markusevangeliums, die Pharisäer als Jesu Gegner und Verfolger darzustellen, dessen grundsätzliche Übereinstimmung mit dieser Richtung des damaligen Judentums betont.
Dem folgen die synoptischen Varianten dieser Erzählung (Mt 22,34–40 EU; Lk 10,25–28 EU). Sie zitieren das Doppelgebot im gleichen situativen Rahmen als Antwort auf die Frage eines nomikos (Gesetzeslehrers) nach dem „größten“ Gebot (Matthäus) oder nach dem Erlangen des ewigen Lebens (Lukas). Für Matthäus fasst Jesu Antwort die ganze hebräische Bibel zusammen: In beiden [Geboten] hängen Gesetz und Propheten. Lukas zufolge stellt Jesus dem Frager die Gegenfrage: Was steht im Gesetz?, so dass das Doppelgebot nicht als besondere Lehre Jesu, sondern als bekannte Lehre der Pharisäer erscheint. Der Dialog wird mit der Anschlussfrage Wer ist mein Nächster? fortgesetzt.
Feindesliebe
In der Bergpredigt (Mt 5–7) nimmt Jesus gegenüber dem Landvolk der von der römischen Besatzungsmacht bedrängten Armen, an das sich die Seligpreisungen richten, auch zum Gebot der Nächstenliebe Stellung und aktualisiert sie als Feindesliebe (Mt 5,43–48 EU):
„Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist.“
Die Tora gebietet nirgends Feindeshass, fordert im Gegenteil zur Überwindung von Feindschaft und Rache, damit implizit zur Feindesliebe auf. Exegeten gehen davon aus, dass Jesus sich auf damalige Deutungen bezog, die Nächstenliebe auf Juden begrenzten und zum Widerstand gegen die fremden Besatzer aufriefen, wie es die Zeloten taten. Denn zuvor hatte Jesus in seiner Auslegung des Gebots Auge für Auge zum Verzicht auf Vergeltung gegenüber Unrechtstätern aufgerufen (Mt 5,38–42 EU). Nächstenliebe verlangt demnach für ihn unbedingte Versöhnung gerade mit den gewalttätigen Unterdrückern der Juden und Nachfolger. Dies entsprach prophetischer Tradition seit Deuterojesaja.
Diese Tora-Auslegung deutet der jüdische Neutestamentler David Flusser als Ausdruck einer gesteigerten ethischen Sensibilität, die auch damalige jüdische Schriften zeigten.
Der barmherzige Samariter
Im Lukasevangelium antwortet Jesus auf die Frage des Schriftgelehrten Wer ist denn mein Nächster? – eine Frage damaliger rabbinischer Exegese – mit einer Beispielerzählung (Lk 10,25–37 EU). Sie schildert, wie drei Personen mit dem Opfer eines Raubüberfalls umgehen: Während ein Priester und ein Levit achtlos, ja sogar ausweichend vorbeigehen, versorgt zuletzt ein Samaritaner die Wunden des Beraubten, bringt ihn in eine Herberge und sorgt für seine weitere Pflege.
Deutlich ist Jesu Kritik an Vertretern des damaligen Tempelkults: Sie sahen die Samaritaner als keine vollgültigen Juden, da diese den Jerusalemer Tempelkult nicht anerkannten und die dortigen Opfer nicht vollzogen. Jesus stellt dem Hörer die Rückfrage:
„Was meinst du: Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde? Der Gesetzeslehrer antwortete: Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle genauso!“
Jesus kehrt hier die Blickrichtung des Angeredeten um: Statt den Adressatenkreis der Nächstenliebe einzugrenzen mit der theoretischen Frage Wer gehört zu den Nächsten, auf die sich das Gebot erstreckt, wem also sollte ein Jude helfen?, stößt Jesus ihn auf das akute Notleiden vor seinen Augen: Für wen bin ich der Nächste, wer braucht mich jetzt, wem kann ich helfen? So lädt er ihn ein, aktuell das ihm Mögliche zu tun, das dem Handeln des Samaritaners gleicht.
Auch im zeitgenössischen Judentum waren Mitleid und eine „fundamentale menschliche Solidarität“ anerkannte Werte, so z. B. nach Flavius Josephus Ap 2,211f. Neu ist somit an der Erzählung, dass diese Solidarität mit dem Nächstenliebegebot in Verbindung gebracht wird.
Hinwendung zu Armen, Kranken und Ausgegrenzten
Jesu eigenes im Neuen Testament dargestelltes Verhalten veranschaulichte für die Urchristen, was Nächstenliebe in seinem Sinne bedeutet. Alle Evangelien heben seine demonstrative bedingungslose Zuwendung zu damals notleidenden, unterdrückten und ausgegrenzten Gruppen hervor.
Die „Armen“ aus der „Volksmenge“ (Mt 5,1 EU) sind die ersten Adressaten des Wirkens Jesu. Sie werden oft mit damals unheilbar Kranken (Mk 1,32 EU) aufgereiht: „Blinde, Lahme, Aussätzige, Taube, Tote, Arme“ oder „Arme, Krüppel, Blinde, Lahme“. Beide Gruppen waren nahezu identisch, da Armut, Krankheit und soziale Isolation sich häufig gegenseitig bedingten. Viele Züge der Heilungswunder Jesu zeigen diesen Zusammenhang. Besitzlose Arme hungerten, waren zum Betteln gezwungen und oft nur notdürftig bekleidet oder nackt. Hinzu kamen Gruppen, die wegen ihrer gewollten oder ungewollten Rechtsverstöße auch von Armen verachtet und gemieden wurden: „Zöllner und Sünder“ (Mk 2,15ff EU; Mt 11,16–19 EU; Lk 7,31–35 EU; 18,11 EU), „Prostituierte“ (Mt 21,31 EU), die „Ehebrecherin“ (Joh 8,3–11 EU).
Die Nähe, die Jesus gerade zu Angehörigen solcher Gruppen suchte und pflegte, sollte nicht nur ihre Isolation beenden (Mk 1,40–44 EU), sondern auch ihr Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen verändern. So gilt sein Gebot des Gewaltverzichts und der Feindesliebe gerade den Juden, die von „Heiden“ akut bedroht, verfolgt und von nach deren Art lebenden „Zöllnern“ beraubt wurden (Mt 5,38–48 EU), während er reiche Grundbesitzer zur Besitzaufgabe zugunsten der Armen einlud und verpflichtete (Mk 10,17ff EU). Die matthäische Textversion zitiert das Gebot der Nächstenliebe abschließend als positives Gegenstück zu den Verboten des Dekalogs (Mt 19,19 EU). Lk 19,8 EU stellt heraus, dass der reiche Zöllner Zachäus aufgrund Jesu Zuwendung sein Raubgut vierfach erstatten und zudem sein halbes Vermögen den Armen schenken wollte, während der reiche Mann in Lk 18,18ff EU eben dazu nicht fähig war. Die Begründung für die Verhaltensänderung liegt für Lk 7,41ff EU im Empfang der Vergebung Jesu.
Christi Selbsthingabe als Begründung der Nächstenliebe
Mt 25,40 EU deutet die Werke der Barmherzigkeit christologisch:
„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Jesus ist demnach in den Armen jeder Zeit gegenwärtig, so dass Nächstenliebe für diese zugleich Gottesliebe ist. An diesem Maßstab würden alle Menschen, Christen wie Nichtchristen, zuletzt im Endgericht gemessen werden. Nicht das richtige Glaubensbekenntnis, sondern das Tun des Willens Gottes – eins der häufigsten Verben im Munde Jesu – sei zuletzt entscheidend (Mt 7,21 EU).
Jesus selbst erfüllte nach dem NT diesen Willen Gottes ganz, indem er zuletzt sein eigenes Leben zur Rettung „der Vielen“ aus dem erwarteten Endgericht hingab (Mk 10,45 EU; 14,24 EU). Diese Hingabe fasst Jesu Sendung zusammen (Lk 22,27 EU):
„Ich bin unter Euch wie ein Diener.“
Der Philipperhymnus beschreibt den Dienst Jesu Christi als Machtverzicht des Sohnes Gottes und Selbsterniedrigung in den Kreuzestod zugunsten der Menschlichkeit aller Menschen, damit diese den wahren menschgewordenen Gott erkennen und wie er handeln können (Phil 2,5–11 EU).
Gemeindebriefe
Die Gemeindebriefe fordern immer wieder jeden Christen auf, sich mit all seinen Fähigkeiten und besonderen Gaben für Andere einzusetzen: „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat …“ (1 Petr 4,10 EU; vgl. Röm 12,3–8 EU) Dies gilt jedoch – entsprechend der Sendung Jesu – weit über den Bereich der christlichen Gemeinde hinaus: „Soviel an euch liegt, so haltet mit allen Menschen Frieden!“ (Röm 12,18 EU) „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (Röm 12,21 EU) „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist die Liebe des Gesetzes Erfüllung.“ (Röm 13,10 EU) Hier wie auch in Gal 5,14 EU zitiert Paulus das Gebot der Nächstenliebe ohne das erste Gebot, aber wie Jesus als konkretes Handeln an Notleidenden, das alle sonstigen Gebote der Tora erfüllt und Feindesliebe gegenüber gewalttätigen Verfolgern einschließt.
Für den Jakobusbrief ist Lev 19,18 das „königliche Gesetz“, das die Christen gemäß der Schrift ohne „Ansehen der Person“ erfüllen sollen. Nächstenliebe erfüllt hier nicht die übrigen Gebote, sondern mit ihr soll deren Erfüllung beginnen (Jak 2,8 ff EU).
Im Johannesevangelium gibt der Abschied nehmende Sohn Gottes seinen Jüngern ein „neues Gebot“: einander zu lieben, wie Gott sie durch Jesus geliebt habe (Joh 13,34 EU u. a.). Durch diese gegenseitige Liebe der Christen sollen alle Menschen Gott in Christus erkennen (13,35 EU). Dem folgend betont der 1. Brief des Johannes die Bruderliebe, die jeden Hass ausschließe; wer seinen Bruder hasse und dem Notleidenden nicht mit all seinem Vermögen, ja seinem Leben helfe, beweise damit, dass er auch Gott nicht lieben könne.
Im Ersten Korintherbrief beschreibt Paulus das Wesen und die Wirkung der Liebe (agape), die hier in einer Trias neben Glaube und Hoffnung gerühmt wird; siehe christliche Tugenden. Dieser berühmte Hymnus bezieht sich in erster Linie auf die Liebe, die für Paulus als Wesen Gottes in Jesus Christus letztgültig offenbar geworden ist. Ihr entsprechen auf menschlicher Seite die Nächstenliebe, die Bruderliebe und die gegenseitige Liebe zwischen Mann und Frau.
„Wenn ich mit Menschen-, ja mit Engelszungen redete und hätte aber die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle … Und wenn ich all meine Habe den Armen gäbe und für Christus durchs Feuer ginge und hätte aber die Liebe nicht, es nützte mir nichts. Die Liebe ist langmütig und freundlich, sie kennt keine Eifersucht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf, sie handelt nicht taktlos, sie sucht nicht den eigenen Vorteil, sie wird nicht bitter durch schlechte Erfahrung, sie rechnet das Böse nicht zu. Sie freut sich nicht über das Unrecht, vielmehr freut sie sich über die Wahrheit. Sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe hört niemals auf … Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“
Christliche Auslegungen
Alles Tun soll der Liebe entspringen
Augustinus von Hippo (354–430) forderte mit seinem häufig zitierten Satz „dilige, et quod vis fac“ dazu auf, jedes Handeln aus der Liebe heraus zu begründen:
„Liebe und tu, was du willst. Schweigst du, so schweige aus Liebe. Redest du, so rede aus Liebe. Kritisierst du, so kritisiere aus Liebe. Verzeihst du, so verzeih in Liebe. Lass all dein Handeln in der Liebe wurzeln, denn aus dieser Wurzel erwächst nur Gutes.“
Die wahre Liebe ist für Augustinus die Liebe zu Gott, die Liebe zum Nächsten (caritas). Diese Liebe soll angefacht werden. Die Liebe zur Welt und zur Zeitlichkeit nennt er Begierde (cupiditas). Die Begierde, die das Geliebte zu besitzen trachtet, soll gezügelt werden. Menschen sollen nicht so geliebt werden wie eine gute Mahlzeit, die aufgezehrt wird. Die persönliche Liebe sei vielmehr eine Freundschaft des reinen Wohlwollens. Bei der Feindesliebe soll man nach Augustinus auf das Gute schauen, das in der Natur des Feindes liegt, und noch mehr auf das Bessere, das der Feind noch werden kann. Man liebe in ihm nicht, was er ist, sondern was man wolle, dass er sei. Lieben bedeutet für Augustinus, sich Gott zu nähern und in Gott einzugehen. Augustinus betont die Einheit des Doppelgebotes der Gottes- und Nächstenliebe. Beide Weisen der Liebe entspringen derselben Quelle. Weil Gott Liebe ist, ist die Liebe, die der Mensch ihm entgegenbringt, in seine Liebe zum Nächsten eingeschlossen: „Liebt, wer den Bruder liebt, auch Gott? Notwendigerweise liebt er die Liebe selbst. Kann man etwa den Bruder lieben, ohne die Liebe zu lieben? […] Im Lieben der Liebe liebt man Gott.“
Fröhlichkeit in der Nächstenliebe
Martin Luther (1483–1546) betonte die Bedeutung der Fröhlichkeit:
„Siehe, also fließt aus dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott und aus der Liebe ein freies, williges, fröhliches Leben, dem Nächsten umsonst zu dienen. Denn gleichwie unser Nächster Not leidet und unsers Übrigen bedarf, also haben wir vor Gott Not gelitten und seiner Gnaden bedurft. Darum, wie uns Gott durch Christum umsonst geholfen hat, also sollen wir durch den Leib und seine Werke nichts anderes tun als dem Nächsten helfen.“
Die gleiche Liebe gilt Gott und dem Nächsten
In seinem Traktat über die Gottesliebe erklärte Franz von Sales (1567–1622):
„So gilt die gleiche Liebe Gott und unserem Nächsten; durch sie werden wir zur Vereinigung mit der Gottheit emporgehoben und steigen zum Menschen herab, um in Gemeinschaft mit ihm zu leben. So jedenfalls lieben wir den Nächsten als Bild und Gleichnis Gottes, geschaffen, um mit der Güte Gottes verbunden zu sein, an seiner Gnade teilzunehmen und sich seiner Herrlichkeit zu erfreuen. Den Nächsten lieben heißt Gott lieben im Menschen oder den Menschen in Gott; es heißt Gott um seiner selbst willen lieben und das Geschöpf um der Liebe Gottes willen.“
Den Nächsten von Gott her lieben
Eine moderne Auslegung ist die Enzyklika Deus caritas est (2005) von Papst Benedikt XVI. Darin führt er aus:
„[Nächstenliebe] besteht ja darin, daß ich auch den Mitmenschen, den ich zunächst gar nicht mag oder nicht einmal kenne, von Gott her liebe. Das ist nur möglich aus der inneren Begegnung mit Gott heraus, die Willensgemeinschaft geworden ist und bis ins Gefühl hineinreicht. Dann lerne ich, diesen anderen nicht mehr bloß mit meinen Augen und Gefühlen anzusehen, sondern aus der Perspektive Jesu Christi heraus. Sein Freund ist mein Freund. Ich sehe durch das Äußere hindurch sein inneres Warten auf einen Gestus der Liebe — auf Zuwendung, die ich nicht nur über die dafür zuständigen Organisationen umleite und vielleicht als politische Notwendigkeit bejahe. Ich sehe mit Christus und kann dem anderen mehr geben als die äußerlich notwendigen Dinge: den Blick der Liebe, den er braucht … Hier zeigt sich die notwendige Wechselwirkung zwischen Gottes- und Nächstenliebe, von der der Erste Johannesbrief so eindringlich spricht. Wenn die Berührung mit Gott in meinem Leben ganz fehlt, dann kann ich im anderen immer nur den anderen sehen und kann das göttliche Bild in ihm nicht erkennen. Wenn ich aber die Zuwendung zum Nächsten aus meinem Leben ganz weglasse und nur ,fromm’ sein möchte, nur meine ,religiösen Pflichten’ tun, dann verdorrt auch die Gottesbeziehung. Dann ist sie nur noch ,korrekt’, aber ohne Liebe. Nur meine Bereitschaft, auf den Nächsten zuzugehen, ihm Liebe zu erweisen, macht mich auch fühlsam Gott gegenüber. Nur der Dienst am Nächsten öffnet mir die Augen dafür, was Gott für mich tut und wie er mich liebt … Gottes- und Nächstenliebe sind untrennbar: Es ist nur ein Gebot. Beides aber lebt von der uns zuvorkommenden Liebe Gottes, der uns zuerst geliebt hat. So ist es nicht mehr ,Gebot’ von außen her, das uns Unmögliches vorschreibt, sondern geschenkte Erfahrung der Liebe von innen her, die ihrem Wesen nach sich weiter mitteilen muß. Liebe wächst durch Liebe. Sie ist ,göttlich’, weil sie von Gott kommt und uns mit Gott eint, uns in diesem Einungsprozeß zu einem Wir macht, das unsere Trennungen überwindet und uns eins werden läßt, so daß am Ende ,Gott alles in allem’ ist (vgl. 1 Kor 15,28 EU).“
Sich in den Nächsten hineinversetzen
Häufig wird der Satzbestandteil des Gebots wie dich selbst so aufgefasst, dass die Eigenliebe der Maßstab der Liebe zum Nächsten sein solle. Dazu schreibt etwa der katholische Theologe Peter Knauer:
„Selbst die Goldene Regel bzw. die Forderung, den Nächsten wie sich selbst zu lieben, wird häufig im Zug des Gedankens der Selbstverwirklichung so interpretiert, dass das Maß der Eigenliebe zum Maß der Nächstenliebe werden solle. Aber ist es überhaupt möglich, sich selber Geborgenheit zu schenken? Und soll man etwa das, was man sich selber wünscht, anderen aufnötigen? Zwangsbeglückung kann die schlimmste Form von Unglück sein. In Wirklichkeit geht es in der Forderung, den Nächsten wie sich selbst zu lieben, anstelle von Selbstliebe um die Fähigkeit, sich selber in die Situation anderer hineinzuversetzen und dann in deren wirklichem Interesse zu handeln. Dabei genügt es nicht, vermeintlich im Interesse der anderen zu handeln; man muss alles tun, um sich vor solcher Selbsttäuschung zu schützen. Natürlich kann es auch nicht darum gehen, anderen unter Vernachlässigung der eigenen Person zu helfen und dadurch letztlich auch die Hilfe selbst zu untergraben.“
Barmherzigkeit als Aufgabe
Die praktische Umsetzung der Nächstenliebe ist Barmherzigkeit. Im Zusammenspiel mit Feier (Liturgia) und Verkündigung bzw. Zeugnis (Martyria) ist die tätige Nächstenliebe (griech.: Diakonia, lat.: Caritas) einer der drei Grundvollzüge christlicher Gemeinde.
Nach christlichem Verständnis wird jemand, der Gottes Liebe und Zuwendung erfahren hat, diese nicht für sich behalten, sondern er wird sie an andere Menschen weitergeben. Jesus von Nazaret gilt den Christen dabei als höchstes Vorbild. Nächstenliebe ist in der praktischen Umsetzung der totale persönliche Einsatz für das Wohl des Anderen. Menschen, die in Not geraten sind, brauchen Hilfe. Dass man die Schwachen zu Grunde gehen lässt, wie dies der Sozialdarwinismus lehrt, ist mit dem Gebot der Nächstenliebe nicht vereinbar.
Tätige Nächstenliebe ist ein Dienst an den eigenen Mitmenschen (Lk 22,27 EU). Jeder wird aufgefordert, sich nach seinen eigenen Fähigkeiten und Talenten einzusetzen (1 Petr 4,10 EU). Es geht darum, uneigennützig für den anderen da zu sein. Die jeweilige Notlage gebietet, was zu tun ist: Armen-, Kranken- und Altenpflege, Lebenshilfe-, Erziehungs-, Ehe- und Suchtberatung, Gefängnis-, Krankenhaus- und Telefonseelsorge, die Behebung der sozialen Isolierung und Vereinsamung besonders in den Großstädten, die Integration von Menschen ohne ausreichende Sprachkenntnisse. Um diese Aufgaben zu erfüllen, wurden beispielsweise die Caritas und das Diakonische Werk gegründet.
Andere Weltreligionen
Islam
Zwar zitiert der Koran das Gebot der Nächsten- und Feindesliebe – anders als andere Toragebote – nicht wörtlich. Doch von Mohammed sind die Sätze überliefert: „Niemand von Euch hat den Glauben erlangt, solange er nicht für seine Brüder liebt, was er für sich selbst liebt.“ „Keiner von Euch hat den Glauben erlangt, solange ihr für euren Nachbarn nicht liebt, was ihr für euch selbst liebt.“
Demgemäß ist soziale Wohltätigkeit (Zakat) eine der fünf Säulen des Islam neben dem Glaubensbekenntnis, Gebet, Fasten und der Pilgerfahrt nach Mekka. Ausgangspunkt dafür ist Gottes Gerechtigkeit gegenüber allen Geschöpfen, die den Muslim zu ebensolchem Verhalten verpflichtet. Daher erhält das an sich freiwillige Spenden von Almosen im Koran den Charakter einer festgelegten regelmäßigen Besteuerung des Eigentums, auf deren Erhalt Bedürftige einen Rechtsanspruch haben (Sure 24,56):
„Und verrichtet das Gebet und entrichtet die Abgabe, und gehorchet dem Gesandten, auf dass ihr Erbarmen findet.“
Auch deren Adressatenkreis wird festgelegt (Sure 9,60):
„Die Almosen sind bestimmt für die Armen, die Notleidenden, die, die damit befasst sind [d. h. soziale Dienste leisten], die, deren Herzen vertraut gemacht werden (sollen) [d. h. um sie für den Übertritt zum Islam zu gewinnen], für den Loskauf von Sklaven, die Verschuldeten, für den Einsatz auf dem Weg Gottes und für den Reisenden [u. a. mittellose Pilgerfahrer].“
Welcher Besitz wie hoch besteuert werden soll, lässt der Koran offen. In der Sunna und der Scharia wurden daher teilweise komplizierte Regelungen für verschiedene Berufs- und Einkommensgruppen getroffen. Als Begründungen für dieses den Bedürftigen zugewandte Handeln nennt der Koran: Dank für die Güte des Schöpfers, die den Ernst des eigenen Glaubens an ihn ausdrückt (Sure 73,20); sichtbare Reue für Versäumnisse und Bitte um Vergebung dafür; Achtung für die muslimische Solidargemeinschaft (Umma), zu der möglichst alle Menschen gehören sollen und können; Ausgleich zwischen Vermögenden und Besitzlosen, um soziale Gegensätze zu verringern; Gottes Recht auf seine Schöpfung, dem die gerechte Verteilung der lebensnotwendigen Güter entspricht; Nach der Erfüllung der von Gott gegebenen Gesetze wird jeder Einzelne im Endgericht beurteilt. Mitmenschlichkeit kann als gottgefälliges Werk angerechnet und mit Gottes Barmherzigkeit erwidert werden.
Buddhismus
Im Buddhismus (ab 5. Jahrhundert v. Chr.) hat Karuna als tätiges Mitgefühl und Erbarmen eine ähnlich hohe Bedeutung, ohne jedoch an ein Gottesgebot anzuknüpfen. Der Begriff umfasst alle Handlungen, die helfen, das Leiden anderer zu verringern. Karuna gründet auf der Erfahrung der Einheit alles Seienden in der Erleuchtung und erstreckt sich unterschiedslos auf alle Lebewesen.
In dem Sutta 27 des Itivuttaka findet sich eine Lehrrede des Buddha über die Liebe:
„Wer Liebe entstehen läßt, unermessliche, mit Bedacht – dünn werden die Bande ihm, der das Versiegen des Anhaftens schaut. Nur einem Lebewesen mit einer arglosen Gesinnung Liebe erweisend, wird er dadurch tugendhaft. Mit allen Wesen im Geist mitleidig, erwirkt der Edle reiches Verdienst … Wer nicht tötet, nicht töten lässt, nicht unterdrückt, nicht unterdrücken lässt, Liebe erzeigt allen Wesen, Feindschaft droht ihm von niemandem.“
Der japanische Gelehrte Daisetz T. Suzuki erklärte das buddhistische Ideal des Bodhisattva:
„… der Bodhisattva (ermüdet) nie in seinem Bestreben, allen Wesen durch sein aufopferungsvolles Leben in jeder Weise Gutes zu tun … Kann er sein Werk nicht in einem oder mehreren Leben vollenden, so ist er bereit, unzählige Male, bis ans Ende aller Zeit, wiedergeboren zu werden. Sein Handeln ist nicht auf diese Welt beschränkt; der Kosmos ist von unzähligen Welten erfüllt, und überall manifestiert er sich, bis jedes Wesen von Verblendung und Ichsucht befreit ist.“
Verhaltensbiologie
Verhaltensbiologisch werden Liebe und Mildtätigkeit in das prosoziale System eingeordnet, dem das agonistische System mit Werten wie Heldentum und Gehorsam gegenübergestellt wird. Auch bei Tieren wird ein moralanaloges Verhalten beobachtet, etwa bei Affen, Nilpferden und Ratten. Gerade kritische Bereiche im Sozialleben werden durch stammesgeschichtliche Anpassung abgesichert. Irenäus Eibl-Eibesfeldt erklärt dazu:
„Manche opfern sich zum Beispiel für ihre Jungen auf, stehen bedrohten Artgenossen bei, respektieren Partnerbeziehungen und schonen in bestimmten Situationen Artgenossen, die sich ihnen im Verlauf eines Kampfes durch Demutsverhalten unterwerfen. […] Die Entscheidung kann in Übereinstimmung mit den biologischen Normen erfolgen, sich aber auch gegen unsere Triebnatur richten […]. Rationalität erfordert einen affektentlasteten ‚klaren Kopf‘.“
Die Liebe habe sich aus der Brutpflege entwickelt, die auf alle Gruppenmitglieder übertragen worden sei:
„[Sie] lieferte die Werkzeuge zum Freundlichsein, und in ihr entwickelte sich die Fähigkeit zu individualisierter Bindung – zur Liebe also –, die gleichzeitig die Wirkung agonaler Signale abschwächt. War dieser Familialisierungsmechanismus einmal im Rahmen der Brutpflege entwickelt, dann bedurfte es nicht besonders viel, auch andere über das Bekanntwerden als Austauschpartner altruistisch einzubinden.“
Dies entspreche der christlichen Ikonographie, die die Caritas meist mit Kleinkindern und oftmals säugend darstelle. Eine verhaltensbiologische Neigung setze aber den freien Willen nicht außer Kraft und vermöge deshalb auch die Nächstenliebe nicht abschließend zu erklären. Im Belohnungssystem des Gehirns könne Nächstenliebe zur Ausschüttung körpereigener Botenstoffe führen:
„Man kann allerdings auch ohne Drogen hirnchemische Prozesse aktivieren, die angenehme Gefühle oder Rauschzustände vermitteln und das bis zur Sucht kultivieren. Der Mensch kann […] sich an seiner Tugendhaftigkeit berauschen; im agonistischen Bereich als Held, im fürsorglichen als ‚Heiliger‘.“
Darüber hinaus ist Nächstenliebe als äußerlich von einer Gruppe beobachtbares Handeln wie generell jedes altruistische Verhalten geeignet, auf die Ressourcen und positiven Charaktereigenschaften des Handelnden hinzuweisen und so seinen sozialen Status zu stärken und ihm einen Prestigegewinn zu verschaffen.
Kategorischer Imperativ
Die neuzeitliche Philosophie grenzte sich seit dem Zeitalter der Aufklärung zunehmend gegen die an partikulare Glaubensbekenntnisse gebundene kirchliche Dogmatik und Ethik ab und versuchte, eine allgemeingültige Ethik des sozialen Miteinanders rational in menschlicher Einsichtsfähigkeit und gutem Willen zu begründen. So hat Immanuel Kant das auf das Wohl des Nächsten bezogene, vom guten Willen gesteuerte Handeln formal mit dem kategorischen Imperativ begründet:
„Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Darin ist vorausgesetzt, dass Menschsein nur als auf anderes Menschsein angewiesen und als auf das Allgemeinwohl ausgerichtete Solidarität denkbar und wünschenswert ist. Für Kant gründet das Gebot der Nächstenliebe im kategorischen Imperativ:
„Die Pflicht der Nächstenliebe kann also auch so ausgedrückt werden: sie ist die Pflicht, anderer ihre Zwecke (so fern diese nur nicht unsittlich sind) zu den meinen zu machen; die Pflicht der Achtung meines Nächsten ist in der Maxime enthalten, keinen anderen Menschen bloß als Mittel zu meinen Zwecken abzuwürdigen (nicht zu verlangen, der andere solle sich selbst wegwerfen, um meinem Zwecke zu frönen).“
Dass das rationale Denken allein diese grundlegende menschliche Solidarität mit anderen Menschen nicht begründen kann, vertrat Irene Harand 1935 in ihrer frühen Analyse der Ideologie Adolf Hitlers:
„Wenn die Menschen nichts für den Nächsten empfinden, was soll sie davon abhalten, sich gegenseitig totzuschlagen? […] Dort, wo menschliches Empfinden vorhanden ist, scheut man sich, die fürchterlichen Waffen, die schauerlichen Giftgase gegen seine Nachbarn anzuwenden. Wo aber das Gefühl ausgeschaltet wird, dort gibt es auch keine Hemmung für die restlose Vernichtung der Mitmenschen, für die Vergiftung ganzer Bevölkerungsteile, auch wehrloser Männer, Frauen und Kinder.“
Kritik der Nächstenliebe
Friedrich Nietzsche hat die Nächstenliebe als dekadent bezeichnet:
„Daß man die untersten Instinkte des Lebens verachten lehrt, daß man in der tiefsten Nothwendigkeit zum Gedeihen des Lebens, in der Selbstsucht, das böse Princip sieht: daß man in dem typischen Ziel des Niedergangs, der Instinkt-Widersprüchlichkeit, im ‚Selbstlosen‘ im Verlust des Schwergewichts in der ‚Entpersönlichung‘ und ‚Nächstenliebe‘ grundsätzlich einen höheren Werth, was sage ich! den Werth an sich sieht! Wie? Wäre die Menschheit selber in décadence? Wäre sie es immer gewesen? Was feststeht, ist daß ihr nur décadence-Werthe als oberste Werthe gelehrt worden sind. Die Entselbstungs-Moral ist die typische Niedergangs-Moral par excellence.“
In seinem Werk Also sprach Zarathustra prägte Nietzsche den Begriff der „Fernstenliebe“.Sigmund Freud kritisierte das Liebesgebot als Überforderung. In seinem grundlegenden Essay Das Unbehagen in der Kultur (1929/1930) bezeichnete er es als „… die stärkste Abwehr der menschlichen Aggression und ein ausgezeichnetes Beispiel für das unpsychologische Vorgehen des Kultur-Über-Ichs. Das Gebot ist undurchführbar; eine so großartige Inflation der Liebe kann nur deren Wert herabsetzen, nicht die Not beseitigen.“
Hans Jonas erklärte in seinem Hauptwerk Das Prinzip Verantwortung (1979), das christliche Liebesgebot greife zu kurz und sei auf den unmittelbaren Umkreis der Handlung begrenzt: „Man beachte, daß in all diesen Maximen der Handelnde und der ‚Andere‘ seines Handelns Teilhaber einer gemeinsamen Gegenwart sind. Es sind die jetzt Lebenden und in irgendwelchem Verkehr mit mir stehenden.“ Dies reiche angesichts der ökologischen Krise und der technischen Möglichkeit, die Menschheit dauerhaft auszulöschen, als Handlungsmaxime nicht mehr aus. Mit dem Wandel der Technik müsse die Ethik zur „Fernstenliebe“ erweitert werden. Jonas formulierte einen „ökologischen Imperativ“: „Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“
Rezeption in der Literatur
W. Somerset Maugham hat 1899 eine Short Story A Bad Example veröffentlicht, deren Hauptfigur, der Londoner Büroangestellte James Clinton, seine Umgebung in Irritation versetzt (und am Ende ins Irrenhaus eingewiesen wird), als er eines Tages anfängt, Christi Gebot der Nächstenliebe wortwörtlich zu nehmen und für die Armen der Stadt nicht nur seine Zeit, sondern auch all sein Geld herzugeben.
Literatur
Allgemein
- Robert Hamlett Bremner: Giving. Charity and Philanthropy in History. Transaction Publishers, New Brunswick 2000, ISBN 1-56000-884-9.
- Matthias Drescher: Die Zukunft unserer Moral. Wie die Nächstenliebe entstanden ist und wieso sie den christlichen Glauben überlebt. Tectum Verlag, Baden-Baden 2019, ISBN 978-3-8288-4275-5
- Heiner Geißler: Nächstenliebe und Solidarität. In: Gudrun Hentges, Bettina Lösch (Hrsg.): Die Vermessung der sozialen Welt. Neoliberalismus – Extreme Rechte – Migration im Fokus der Debatte. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-531-16829-6, S. 99–102.
- Hubert Meisinger: Liebesgebot und Altruismusforschung. Ein exegetischer Beitrag zum Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Akademische Presse, Freiburg 1996, ISBN 3-7278-1093-9.
- Morton Hunt: Das Rätsel der Nächstenliebe. Der Mensch zwischen Egoismus und Altruismus. Campus, 1992, ISBN 3-593-34621-4.
- Adel Theodor Khoury, Peter Hünermann (Hrsg.): Wer ist mein Nächster? Die Antwort der Weltreligionen. Herder, Freiburg im Breisgau 1988.
- Heinz Vonhoff: Geschichte der Barmherzigkeit. 5000 Jahre Nächstenliebe. (1960) Quell-Verlag, Stuttgart 1987, ISBN 3-7918-1081-2.
- Walter Jens (Hrsg.): Vom Nächsten. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1984.
Hebräische Bibel und Judentum
- Hans-Peter Mathys: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Untersuchungen zum alttestamentlichen Gebot der Nächstenliebe (Lev 19,18). Vandenhoeck & Ruprecht, 2. Auflage 1997, ISBN 3-525-53698-4.
- Heinz Kremers, Adam Weyer: Liebe und Gerechtigkeit. Gesammelte Beiträge. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 1990, ISBN 3-7887-1324-0.
- Rachel Rosenzweig: Solidarität mit den Leidenden im Judentum. Studia Judaica 10, Walter de Gruyter, Berlin 1978.
- Andreas Nissen: Gott und der Nächste im antiken Judentum. Mohr Siebeck, Tübingen 1974, ISBN 3-16-135122-3.
- Leo Baeck: Das Wesen des Judentums. (4. Auflage 1925) Fourier, Wiesbaden 1985, ISBN 3-921695-24-4, S. 210–250: Der Glaube in den Nebenmenschen.
Neues Testament
- Thomas Söding: Nächstenliebe. Gottes Gebot als Verheißung und Anspruch. Freiburg im Breisgau 2015, ISBN 978-3-451-31567-1.
- Ansgar Moenikes: Der sozial-egalitäre Impetus der Bibel Jesu und das Liebesgebot als Quintessenz der Tora. Echter, Würzburg 2007, ISBN 3-429-02892-2.
- Michael Ebersohn Elwert: Das Nächstenliebegebot in der synoptischen Tradition. N G, 1993, ISBN 3-7708-1011-2.
Christliche Theologie
- Gudrun Guttenberger: Nächstenliebe. Kreuz-Verlag, Stuttgart 2007, ISBN 3-7831-2784-X.
- Josef Schreiner, Rainer Kampling: Der Nächste – der Fremde – der Feind. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments. Echter, Würzburg 2000, ISBN 3-429-02169-3.
- Andrea Tafferner: Gottes- und Nächstenliebe in der deutschsprachigen Theologie des 20. Jahrhunderts. Tyrolia, Innsbruck 1992.
- Richard Völkl: Nächstenliebe – die Summe der christlichen Religion? Lambertus, Freiburg im Breisgau 1987.
Buddhismus
- Daisetz T. Suzuki: Karuna. O.W. Barth, Bern 1989, ISBN 3-502-64597-3.
Hinduismus
- Dorothea Kuhrau-Neumärker: Karma und Caritas. Soziale Arbeit im Kontext des Hinduismus. Lit, Münster 1990.
Kritik
- Friedrich Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel zu einer Philosophie der Zukunft. 1886.
- Friedrich Nietzsche: Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift. 1887.
- Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur und andere kulturtheoretische Schriften. Fischer, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-596-10453-X, S. 29–108.
- Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-518-39992-6.
Weblinks
- Peter Heine: Nicht nur Almosen. Solidarität und Nächstenliebe im Islam. Herder Korrespondenz, 2006/6, S. 302–306.
Einzelnachweise
- Georgi Schischkoff: Philosophisches Wörterbuch, 22. Auflage, Kröner, Stuttgart 1991, S. 500.
- K. E. Logstrup: Nächstenliebe. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 6. 1984, Sp. 354.
- Edward Noort, Artikel Nächster I. 2: Bedeutungsfeld des Begriffs „Nächster“, in: Theologische Realenzyklopädie Band 23, Walter de Gruyter, Berlin 1994, ISBN 3-11-013852-2, S. 713f.
- Artikel pläsion, in: Gerhard Fichtner (Hrsg.): Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament Band VI. Kohlhammer, Stuttgart 1959, S. 310–314
- Frank Crüsemann: Die Tora. München 1992, S. 377.
- Thomas Staubli: Die Bücher Levitikus und Numeri. Neuer Stuttgarter Kommentar Altes Testament Band 3. Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 1996, ISBN 3-460-07031-5, S. 154–163.
- Walter Homolka (Hrsg.): Fritz Bamberger: Die Lehren des Judentums nach den Quellen, Band 1. (Originalausgabe: Leipzig 1928–1930) Neue und erweiterte Ausgabe, Knesebeck, München 1999, ISBN 3-89660-058-3, S. 328 ff. und 350
- Walther Zimmerli: Jahwes Gebot für den Umgang mit Menschen und Gütern. In: Grundriss der alttestamentlichen Theologie, Kohlhammer, Stuttgart 1972, S. 115–122
- Reinhard Neudecker: Artikel Nächster, II. Judentum, in: Theologische Realenzyklopädie Band 23, Walter de Gruyter, Berlin 1994, ISBN 3-11-013852-2, S. 716f.
- Schabbat 31a; vgl. Reinhold Mayer, Der babylonische Talmud, Goldmann München 1963, S. 227.
- Gerd Theißen, Annette Merz: Der historische Jesus, 2. Auflage 1997, S. 343; Eugen Drewermann, Markusev. Teil II, S. 290.
- Frederick R. Lachmann: Die jüdische Religion. Aloys Henn, Kastellaun 1977, S. 162f.
- Samuel Laniado: Kli Hemda, zitiert nach Arthur Hertzberg: Der Judaismus, Stuttgart 1981, S. 149 f. Deutsche Ausgabe Šemûēl Laniado: Keli ḥemdā [(Erwünschtes Geräth) Erläuterungen zum Pentateuch und zum Midrasch Rabba]. Prag 1609/1610. Hrsg. von Gerschom ben Bezal'el ha-Kohen
- zur Übersetzung Franz Rosenzweig: Sprachdenken im Übersetzen. 2. Band. Arbeitspapiere zur Verdeutschung der Schrift. In: Ders.: Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften. Haag Nijhoff, 1984, S. 140: „Auf der Rückseite des Manuscriptblatts steht auf hebräisch (wohl von Buber geschrieben), was wahrscheinlich ein Zitat von Wessely ist: „kamoka, das beutet ‚der dir ähnlich ist‘ […] und so bedeutet hier: ‚liebe – kamoka‘ (er ist wie du), denn auch er ist im Bilde Gottes geschaffen“. Diese Auslegung wurde von Buber im Vorwort zu dem Schocken-Bändchen „Hermann Cohen, Der Nächste“ (Berlin 1935) weitergeführt, und dann in einem hebräischen Artikel „w'-ahabta re'aka kamoka“ (in Darko schel Mikra, Jerusalem 1964, S. 103–105) formuliert.“
- David Flusser: Neue Sensibilität im Judentum und christliche Botschaft. In: David Flusser: Bemerkungen eines Juden zur christlichen Theologie. München 1984, S. 35–53. Zustimmend Gerd Theißen, Annette Merz: Der historische Jesus. Ein Lehrbuch. 4. Auflage, Göttingen 2011, S. 350.
- Wolfgang Stegemann: Jesus und seine Zeit, Stuttgart 2010, S. 295f. ISBN 978-3-17-012339-7.
- Mt 5,3 EU par Lk 6,20 EU; Lk 4,18 EU
- Lk 7,22 EU par Mt 11,5 EU; Lk 14,13.21 EU.
- Mk 10,46-52 EU; Lk 4,31-37 EU; 4,38-42 EU; 5,12-16 EU; 5,17-26 EU; 6,6-11.18f EU usw.
- Mk 14,7 EU; Mt 6,25 EU; 25,35f EU; Lk 3,11 EU; 16,20 EU; Apg 3,1ff EU; Jak 2,15f EU; Wolfgang Stegemann: Das Evangelium und die Armen. Christian Kaiser, München 1981, ISBN 3-459-01393-1, S. 10–15.
- Gerd Theißen, Annette Merz: Der historische Jesus. 4. Auflage, Göttingen 2011, S. 349.
- 1 Joh 2,7-11 EU; 3,11ff EU; 3,17f EU; 4,11f EU; 4,19ff EU
- Brockhaus, Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, (Hrsg. Lothar Coenen), Wuppertal 1986, ISBN 3-417-24849-3, S. 899.
- Augustinus, In epistulam Iohannis ad Parthos tractatus 7,8.
- Vgl. Joseph Mausbach: Die Ethik des heiligen Augustinus. Erster Band: Die sittliche Ordnung und ihre Grundlagen, Hamburg 2010, S. 176 ff.
- Augustinus, Ep. 10, 9,10.
- Martin Luther: An den christlichen Adel deutscher Nation. Goldmann, 1958, S. 148.
- Franz von Sales, Traktat über die Gottesliebe, zit. nach: George Brantl, Der Katholizismus, Stuttgart 1981, S. 275.
- Enzyklika DEUS CARITAS EST von Papst Benedikt XVI.
- Peter Knauer: Handlungsnetze – Über das Grundprinzip der Ethik, Frankfurt a. M. 2002 (PDF), S. 13 f.
- Vgl. nur exemplarisch Evangelischer Erwachsenenkatechismus, 3. Aufl., Gütersloh 1977, S. 1206.
- Sahih Al-Bukhari, Kitab al-Iman, Hadith no. 13
- Sahih Muslim, Kitab al-Iman, 67-1, Hadith no. 45
- Hans Küng: Der Islam. Geschichte, Gegenwart, Zukunft. Piper, München 2004, S. 178f
- Anonymus: Lexikon der östlichen Weisheitslehren, Düsseldorf 2005, S. 185 f.
- Übersetzt von Klaus Mylius, Die vier edlen Wahrheiten, Stuttgart 1998, S. 257.
- Daisetz T. Suzuki, Karuna, Bern 1989, S. 214.
- Konrad Lorenz, Das sogenannte Böse, Wien 1963, S. 149 ff.
- Berliner Tagesspiegel: Nächstenliebe und Mitleid im Tierreich: Selbst Ratten lässt der fremde Schmerz nicht kalt. 7. Januar 2005.
- Irenäus Eibl-Eibesfeldt: Die Biologie des menschlichen Verhaltens, Weyarn 1997, S. 956.
- Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Die Biologie des menschlichen Verhaltens, Weyarn 1997, S. 969.
- Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Die Biologie des menschlichen Verhaltens, Weyarn 1997, S. 975.
- Vgl. dazu Charlie L. Hardy und Mark Van Vugt: Giving for glory in social dilemmas. The competitive altruism hypothesis. In: Personality and Social Psychology Bulletin, 32 (2006), 1402–1413. Heckathorn, DD (1989). Näheres zur allgemeinen Altruismusforschung im Artikel Altruismus.
- Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Kants Werke, Akademie Textausgabe, 1903, S. 421.
- Immanuel Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Kants Werke, Akademie Textausgabe, 1968, S. 450.
- Irene Harand: Sein Kampf. Antwort an Hitler, Wien 1935, S. 337f; zitiert nach Wolfram Meyer zu Utrup: Kampf gegen die ‚jüdische Weltverschwörung‘. Propaganda und Antisemitismus der Nationalsozialisten 1919 bis 1945, Berlin 2003, S. 37.
- Friedrich Nietzsche: Nachlaß 1887–1889, Kritische Studienausgabe, Hrsg.: Giorgio Colli und Mazzino Montinari, de Gruyter, 1999, S. 604.
- Friedrich Nietzsche: Also Sprach Zarathustra: Ein Buch Für Alle und Keinen (1883 - 1885). Walter de Gruyter, 1989, ISBN 978-3-11-005174-2, S. 73.
- Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, 1930, S. 132.
- Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung, Frankfurt am Main 1989, S. 23 f.
- Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Frankfurt am Main 1989, S. 36.
- A Bad Example (Digitalisat). Abgerufen am 21. Juli 2024.
Autor: www.NiNa.Az
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Dieser Artikel behandelt vor allem das biblische Gebot der Nachstenliebe Zur allgemeinen Selbstlosigkeit siehe Altruismus und Goldene Regel zu Mitgefuhl siehe Empathie Als Nachstenliebe wird ein helfendes Handeln fur andere Menschen bezeichnet Sie beinhaltet jede dem Wohlergehen des Mitmenschen zugewandte uneigennutzige Handlung nicht unbedingt eine emotionale Sympathie Der Nachste kann jeder Mensch in einer konkreten Notlage sein der einem begegnet Der Begriff stammt aus einem Gebot der Tora des Judentums An den Kindern deines Volkes sollst du dich nicht rachen und ihnen nichts nachtragen Du sollst deinen Nachsten lieben wie dich selbst Ich bin JHWH Lev 19 18 EU Durch die Tora Auslegung Jesu von Nazaret wurde Nachstenliebe auch ein Zentralbegriff des Christentums der in der Ethik der Antike neben den Grundwert Gerechtigkeit trat Heute wird Nachstenliebe weitgehend mit selbstlosem Eintreten fur Andere Altruismus ohne Rucksicht auf deren soziale Stellung oder Verdienste gleichgesetzt Dieses gilt nicht als Begleiterscheinung des Mitleids sondern eine die fremde Person als etwas Wertvolles intendierendes Fuhlen und Streben ein von Wohlwollen bestimmtes Bezogensein auf den anderen Menschen Entsprechende soziale Regeln und Normen sind in den meisten Religionen und Philosophien als ethisches Grundmotiv die sogenannte Goldene Regel verankert und als menschliches Verhalten uberall anzutreffen Hebraische BibelIm Tanach der Bibel des Judentums ist das Gebot der Nachstenliebe auf ein vorhergehendes befreiendes und rettendes Handeln JHWHs des Gottes der Israeliten bezogen und soll diesem entsprechen Sie hat also dieselbe proexistente Zielrichtung wie das Handeln Gottes selber Das Gebot gilt im Judentum mit der ganzen Tora 1 5 Buch Mose als Wort Gottes und damit als Grundsatz und Leitforderung fur das ganze Leben Fur die Rabbiner ist es im Anschluss an die Prophetie im Tanach ebenso wesentlich fur den judischen Gottesdienst wie die Gottesliebe siehe Judische Ethik Seine Reichweite wurde seit etwa 200 v Chr im Judentum diskutiert Manche Gruppen schlossen Nichtjuden davon aus andere bezogen alle Menschen ein Letztere Deutung setzte sich im Judentum bis etwa 100 n Chr durch Der Begriff des Nachsten Im Tanach ist der Nachste immer ein bestimmter aktuell begegnender oder zum Gesichtskreis eines Israeliten gehorender Mitmensch Die Nahe ergibt sich meist aus einer konkreten Beziehung zu ihm Das Substantiv reah kann fur Verwandter Ex 2 13 EU Nachbar Spr 3 29 EU Freund 1 Samuel 20 41 EU Geliebter Hld 5 16 EU oder Anderer Gen 11 3 EU stehen Auch dort wo es im Kontrast zum Fremden ausdrucklich den Volksgenossen meint Ex 11 2 EU Ex 12 35 EU zielt es auf ein allgemeingultiges Verhaltnis oder Verhalten Ex 33 11 EU Demgemass ubersetzte die Septuaginta das Wort meist mit griechisch plasion Anderer Mitmensch In der Tora erscheint reah zusammen mit isch Mensch oder als Objekt bestimmter Sozialgebote fur das Bundesvolk Israel etwa in denjenigen der Zehn Gebote die das Falschzeugnis gegen den Nachsten und das Begehren seiner Angehorigen und Besitztumer untersagen Ex 20 16f EU Sie sind nach der Praambel Ex 20 2 EU im Zentralereignis der judischen Religion begrundet der Befreiung aus der Sklaverei beim Auszug aus Agypten So ist der Nachste zum einen jeder mit den Hebraern befreite und zum Bundespartner Gottes erwahlte Israelit zum anderen tendieren die auf den Nachsten bezogenen Dekaloggebote auf allgemeine Geltung im Bereich der Schopfung So macht Gott den als Mitmenschen zu seinem Ebenbild geschaffenen Menschen Gen 1 26 EU fur die Bewahrung allen Lebens verantwortlich Gen 2 15 18 EU Kontext und Sinn des Gebots Das Gebot der Nachstenliebe steht im Zentrum des Kapitels Lev 19 EU im Heiligkeitsgesetz das wesentliche Grundforderungen Gottes zusammenstellt Diese reden wie die Zehn Gebote jeden einzelnen Israeliten und zugleich das erwahlte Volk insgesamt an Du ihr sind meist apodiktisch formuliert und betreffen dieselben Bereiche Elternehrung 19 3 31 Sabbat 19 3b 30 Heiligung des Gottesnamens 19 12 Gotterbilder und Fremdkulte 19 4 26 29 Sozialverhalten 19 9 18 Das intendierte Verhalten soll Gottes Heiligkeit entsprechen der sich nach judischem Glauben in der Geschichte offenbart und am Ende durchsetzen wird Daher ist das Verb auch indikativisch ubersetzbar Du sollst wirst keine Nachlese von deiner Ernte halten Du sollst sie dem Armen und dem Fremden uberlassen Ich bin der Herr euer Gott Ihr sollt nicht stehlen nicht tauschen und einander nicht betrugen Du sollst deinen Nachsten nicht ausbeuten und ihn nicht um das Seine bringen Der Lohn des Tagelohners soll nicht uber Nacht bis zum Morgen bei dir bleiben Du sollst einen Tauben nicht verfluchen und einem Blinden kein Hindernis in den Weg stellen vielmehr sollst du deinen Gott furchten Ich bin der Herr Ihr sollt in der Rechtsprechung kein Unrecht tun Du sollst weder fur einen Geringen noch fur einen Grossen Partei nehmen gerecht sollst du deinen Stammesgenossen richten Du sollst deinen Stammesgenossen nicht verleumden und dich nicht hinstellen und das Leben deines Nachsten fordern Ich bin der Herr Du sollst in deinem Herzen keinen Hass gegen deinen Bruder tragen Weise deinen Stammesgenossen zurecht so wirst du seinetwegen keine Schuld auf dich laden An den Kindern deines Volkes sollst du dich nicht rachen und ihnen nichts nachtragen Als positives Gegenteil zu all diesen von Gott abgelehnten Verhaltensweisen wird zum Schluss der Reihe Nachstenliebe geboten Diese soll also eine umfassende Verhaltensanderung in der ganzen Volksgemeinde bewirken Unrechtes Handeln soll in dem von Gott erwahlten Volk dauerhaft uberwunden ausgeschlossen und durch dem Nachsten zugewandtes Handeln abgelost werden Dieses wird gegen Hass Rache und Nachtragen in einem Streit unter Brudern gestellt und schliesst darum Versohnung mit Feinden ein Wenige Verse darauf folgt das Gebot der Fremdenliebe 19 33f das wiederum ausdrucklich mit der Befreiung der Israeliten aus Agypten begrundet und wie jeder thematische Abschnitt der Reihe und viele Sozialgebote der Tora mit der Selbstvorstellungsformel Ich bin JHWH bekraftigt wird Der Kapitelschluss fasst nochmals zusammen Ich bin der Herr euer Gott der euch aus Agypten gefuhrt hat Damit wird die Befolgung des hier geoffenbarten gottlichen Heilswillens dem Belieben der Menschen entzogen und fur die gesamte Gemeinschaft vor Gott verbindlich gemacht Die menschliche Nachstenliebe soll dem befreienden und rettenden Handeln Gottes in Israels Geschichte antworten und entsprechen Dass das Gebot der Nachstenliebe in der Tora auch Fremde bzw Auslander umfasst Ex 23 4 5 Lev 19 18 bewahren und bestatigen spatere Bibeltexte die die gebotene Feindeshilfe an Beispielen veranschaulichen so Spr 20 22 EU 24 17 EU 24 29 EU 25 21f EU Sir 28 7 EU Hiob 31 29f EU Schutzrechte fur die Armen und Fremden Nachstenliebe ist nach dem Eigenkontext des Gebots keine reine Emotion und freiwillige Zusatzleistung sondern Pflichthandeln jedes Israeliten das vorrangig den Bedurftigen zugutekommen soll Deshalb ist sie kein Gegensatz zum Zurechtweisen eines Streitgegners sondern erinnert diesen an das Lebensrecht der Recht und Besitzlosen Sie gilt gerade den Randgruppen Unterdruckten und Benachteiligten und wird daher in zahlreichen Einzelgeboten konkretisiert etwa der Uberlassung des Ernterestes sofortiger Auszahlung des Tagelohns Verbot von Diebstahl Raub Tauschung Betrug Ubervorteilung Verleumdung parteilicher Rechtsprechung usw Vor der Unterdruckung der Fremden warnt die Tora mehrfach Ex 22 20 23 23 6 9 Sie werden den Witwen und Waisen das heisst den mittellosen Randgruppen ohne Versorger an die Seite gestellt und erhalten wie diese die Zusage dass JHWH ihr Schreien erhoren werde Sie zu kleiden zu speisen und zu lieben wird gesondert geboten Dtn 10 19 Die Ernteabgabe des Zehnten soll alle drei Jahre an die Fremden die Witwen und Waisen im Land fliessen Dtn 14 28f Besonderes Augenmerk widmet die Tora Schutzrechten die bedrohte Randgruppen vor volligem Ausgeliefertsein schutzen sollen Das Pfandrecht wird durch das Existenzminimum begrenzt dazu wird das Pfanden des einzigen Mantels eines Obdachlosen verboten Ex 22 25f EU Dtn 24 6 10 13 EU Auch das Verbot des Zinsnehmens Ex 22 24 EU Dtn 23 20f EU Lev 25 35ff EU dient dem Schutz des Nachsten vor Verschuldung ausgenommen werden in Dtn 23 21 EU nur auslandische Handler Im Erlassjahr soll alle sieben Jahre jeder aus Notlagen heraus verausserte Landbesitz wieder an den ursprunglichen Eigentumer zuruckgegeben werden damit jeder Israelit sein Auskommen hat Lev 25 EU Dtn 15 EU Judische AuslegungenTora ca 1830 Judisches Museum Westphalen in Dorsten In den vorchristlichen judischen Schriften wurden die Toragebote bereits auf Gottes und Nachstenliebe konzentriert Die um 200 v Chr entstandenen Testamente der zwolf Patriarchen enthalten folgende Aussagen Liebet den Herrn in eurem ganzen Leben und einander mit wahrhaftigem Herzen TestDan 5 3 liebt den Herrn und den Nachsten des Schwachen und Armen erbarmt euch TestIss 5 1f Den Herrn liebte ich und ebenso jeden Menschen mit aller meiner Kraft und von ganzem Herzen Das tut auch ihr TestIss 7 6 Die Rabbiner diskutierten den Geltungsbereich von Lev 19 18 um die Zeitenwende intensiv Der ausgrenzenden Ansicht der Nachste umfasse nur Mitjuden und Proselyten stellten andere die Meinung gegenuber auch Samaritaner gehorten zu den wahren Proselyten Rabbi Akiba bQuid 75b oder Juden Rabbi Gamaliel II yKet 3 1 27a Ein wohl wahrend der judischen Aufstande verfasster Traktat ARN A 16 verwies auf Ps 139 21f EU Danach habe Konig David gesagt Die dich hassen Herr will ich hassen als Feinde gelten sie mir Daraus wurde gefolgert Wenn er der Fremde wie dein Volk handelt sollst du ihn lieben wenn aber nicht sollst du ihn nicht lieben Dem widersprachen andere mit Verweis auf Lev 19 17 das Hass gegen den Bruder verbietet damit sei potentiell jeder Mensch gemeint Mischna und Talmud sammelten diese Dispute der Schriftlehrer zur Gottes und Nachstenliebe Einer der bedeutendsten unter ihnen war Hillel dessen Auslegungen der Talmud denen des Schriftgelehrten Schammai gegenuberstellt Wiederum geschah es dass einer aus den heidnischen Volkern vor Schammai kam und zu ihm sagte Mache mich zum Proselyten unter der Bedingung dass du mich die ganze Thora lehrst wahrend ich auf einem Bein stehe Da jagte Schammai ihn mit dem Maurermessbrett davon das er gerade zur Hand hatte Als er mit dem gleichen Anliegen zu Hillel kam sagte dieser zu ihm Was dir selbst zuwider ist das tue deinem Nachsten nicht an Das ist die Thora ganz und gar alles andere ist ihre Auslegung Geh und lerne das Der babylonische Talmud Die hier negativ als Ausschluss von Gewalt und Missgunst formulierte Goldene Regel bezeichnete auch der kurz nach Hillel lehrende Akiba als Hauptregel der Tora Er verstand Lev 19 18 als grossen umfassenden Grundsatz der die Auslegung der ubrigen Gebote regieren sollte Jochanan ben Sakkai sah nach der Tempelzerstorung in den Liebeserweisen einen gultigen Ersatz fur die Tempelopfer Fur die meisten Rabbinen impliziert Nachstenliebe Liebe zum Fremdling Dtn 10 19 und zum Feind also Langmut Verzeihen und Vergeltung von Bosem mit Gutem Die Liebe zum Mitmenschen ist in der judischen Tradition verbunden mit einem bleibenden Sinn fur die Wurde und den Wert jedes einzelnen Menschen als einer Person In der nachtalmudischen judischen Exegese wurde vor allem die Bedeutung des Satzteils wie dich selbst diskutiert So schrieb der in Aleppo lebende Rabbiner Samuel Laniado nach 1550 dazu Erstens wenn die Seelen so sind wie sie sein sollten so sind sie alle ein Teil Gottes Und da die Seele eines Menschen und die Seele seines Nachsten beide auf dem gleichen Thron der Pracht geschnitzt wurden darum ist das Gebot du sollst deinen Nachsten lieben wie dich selbst wortlich zu verstehen denn der Nachste ist wie du Und zweitens wenn deine Liebe zu deinem Nachsten der Liebe zu dir selbst gleich ist so erachte ich das als Liebe zu Mir denn ich bin JHWH Samuel Laniado Dieser Auffassung Liebe deinen Nachsten er ist wie du folgt auch die deutschjudische Bibelubersetzung Die Schrift von Martin Buber und Franz Rosenzweig Heimzahle nicht und grolle nicht den Sohnen deines Volkes liebe deinen Genossen dir gleich ICH ER RIEF 19 18 Neues TestamentDas Neue Testament setzt das Toragebot der Nachstenliebe als bekannt und gultig voraus Jesus von Nazaret nahm am damaligen rabbinischen Auslegungsdisput um die Reichweite des Gebots teil Neben den synoptischen Evangelien wird es auch in den Paulusbriefen im Jakobusbrief und den Johannesbriefen ofter zitiert und kommentiert Das Doppelgebot der Liebe Doppelgebot der Gottes und Nachstenliebe Mt 22 37ff als Inschrift in der reformierten Predigerkirche Zurich Auf die Frage eines Schriftgelehrten grammatikos in Jerusalem nach dem wichtigsten ersten Gebot die damals im Judentum diskutiert wurde antwortet Jesus Mk 12 29 ff EU Moses mit neutestamentlich revidierten Gesetzestafeln Mt 22 37ff Evang Marktkirche Clausthal Das erste ist Hore Israel der Herr unser Gott ist der einzige Herr Darum sollst du den Herrn deinen Gott lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft Als zweites kommt hinzu Du sollst deinen Nachsten lieben wie dich selbst Kein anderes Gebot ist grosser als diese beiden Das erste Gebot wird hier nach Dtn 6 5 EU als Schma Jisrael Hore Israel dein Gott ist einer zitiert und uber die Fragestellung hinaus mit dem Zitat von Lev 19 18 kombiniert Damit begrundete Jesus die im damaligen Judentum schon bekannte Konzentration aller Gebote auf die Gottes und Nachstenliebe erstmals mit der direkten Gleichstellung dieser beiden Toragebote Dem entspricht die Zustimmung des Schriftlehrers in Mk 12 32 ff EU Da sagte der Schriftgelehrte zu ihm Sehr gut Meister Ganz richtig hast du gesagt Er allein ist der Herr und es gibt keinen anderen ausser ihm und ihn mit ganzem Herzen ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nachsten zu lieben wie sich selbst ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer Dieser Kommentar entspricht Jesu Auslegung des Gebots Du sollst nicht toten Ex 20 13 EU nach Mt 5 21 26 EU Dort wird das Opfern im Tempel ohne vorherige Versohnung mit dem Bruder also Gottesliebe ohne Nachstenliebe zuruckgewiesen Jesus sah dass er mit Verstandnis geantwortet hatte und sagte zu ihm Du bist nicht fern vom Reich Gottes Mit dieser Zusage wird gegen die sonstige Tendenz des Markusevangeliums die Pharisaer als Jesu Gegner und Verfolger darzustellen dessen grundsatzliche Ubereinstimmung mit dieser Richtung des damaligen Judentums betont Dem folgen die synoptischen Varianten dieser Erzahlung Mt 22 34 40 EU Lk 10 25 28 EU Sie zitieren das Doppelgebot im gleichen situativen Rahmen als Antwort auf die Frage eines nomikos Gesetzeslehrers nach dem grossten Gebot Matthaus oder nach dem Erlangen des ewigen Lebens Lukas Fur Matthaus fasst Jesu Antwort die ganze hebraische Bibel zusammen In beiden Geboten hangen Gesetz und Propheten Lukas zufolge stellt Jesus dem Frager die Gegenfrage Was steht im Gesetz so dass das Doppelgebot nicht als besondere Lehre Jesu sondern als bekannte Lehre der Pharisaer erscheint Der Dialog wird mit der Anschlussfrage Wer ist mein Nachster fortgesetzt Feindesliebe Hauptartikel Feindesliebe In der Bergpredigt Mt 5 7 nimmt Jesus gegenuber dem Landvolk der von der romischen Besatzungsmacht bedrangten Armen an das sich die Seligpreisungen richten auch zum Gebot der Nachstenliebe Stellung und aktualisiert sie als Feindesliebe Mt 5 43 48 EU Ihr habt gehort dass gesagt worden ist Du sollst deinen Nachsten lieben und deinen Feind hassen Ich aber sage euch Liebt eure Feinde und betet fur die die euch verfolgen damit ihr Sohne eures Vaters im Himmel werdet denn er lasst seine Sonne aufgehen uber Bosen und Guten und er lasst regnen uber Gerechte und Ungerechte Wenn ihr namlich nur die liebt die euch lieben welchen Lohn konnt ihr dafur erwarten Tun das nicht auch die Zollner Und wenn ihr nur eure Bruder grusst was tut ihr damit Besonderes Tun das nicht auch die Heiden Ihr sollt also vollkommen sein wie es auch euer himmlischer Vater ist Die Tora gebietet nirgends Feindeshass fordert im Gegenteil zur Uberwindung von Feindschaft und Rache damit implizit zur Feindesliebe auf Exegeten gehen davon aus dass Jesus sich auf damalige Deutungen bezog die Nachstenliebe auf Juden begrenzten und zum Widerstand gegen die fremden Besatzer aufriefen wie es die Zeloten taten Denn zuvor hatte Jesus in seiner Auslegung des Gebots Auge fur Auge zum Verzicht auf Vergeltung gegenuber Unrechtstatern aufgerufen Mt 5 38 42 EU Nachstenliebe verlangt demnach fur ihn unbedingte Versohnung gerade mit den gewalttatigen Unterdruckern der Juden und Nachfolger Dies entsprach prophetischer Tradition seit Deuterojesaja Diese Tora Auslegung deutet der judische Neutestamentler David Flusser als Ausdruck einer gesteigerten ethischen Sensibilitat die auch damalige judische Schriften zeigten Der barmherzige Samariter Rembrandt van Rijn Der barmherzige SamariterVincent van Gogh Der gute Samariter Hauptartikel Barmherziger Samariter Im Lukasevangelium antwortet Jesus auf die Frage des Schriftgelehrten Wer ist denn mein Nachster eine Frage damaliger rabbinischer Exegese mit einer Beispielerzahlung Lk 10 25 37 EU Sie schildert wie drei Personen mit dem Opfer eines Raububerfalls umgehen Wahrend ein Priester und ein Levit achtlos ja sogar ausweichend vorbeigehen versorgt zuletzt ein Samaritaner die Wunden des Beraubten bringt ihn in eine Herberge und sorgt fur seine weitere Pflege Deutlich ist Jesu Kritik an Vertretern des damaligen Tempelkults Sie sahen die Samaritaner als keine vollgultigen Juden da diese den Jerusalemer Tempelkult nicht anerkannten und die dortigen Opfer nicht vollzogen Jesus stellt dem Horer die Ruckfrage Was meinst du Wer von diesen dreien hat sich als der Nachste dessen erwiesen der von den Raubern uberfallen wurde Der Gesetzeslehrer antwortete Der der barmherzig an ihm gehandelt hat Da sagte Jesus zu ihm Dann geh und handle genauso Jesus kehrt hier die Blickrichtung des Angeredeten um Statt den Adressatenkreis der Nachstenliebe einzugrenzen mit der theoretischen Frage Wer gehort zu den Nachsten auf die sich das Gebot erstreckt wem also sollte ein Jude helfen stosst Jesus ihn auf das akute Notleiden vor seinen Augen Fur wen bin ich der Nachste wer braucht mich jetzt wem kann ich helfen So ladt er ihn ein aktuell das ihm Mogliche zu tun das dem Handeln des Samaritaners gleicht Auch im zeitgenossischen Judentum waren Mitleid und eine fundamentale menschliche Solidaritat anerkannte Werte so z B nach Flavius Josephus Ap 2 211f Neu ist somit an der Erzahlung dass diese Solidaritat mit dem Nachstenliebegebot in Verbindung gebracht wird Hinwendung zu Armen Kranken und Ausgegrenzten Martin von Tours teilt seinen Mantel Jesu eigenes im Neuen Testament dargestelltes Verhalten veranschaulichte fur die Urchristen was Nachstenliebe in seinem Sinne bedeutet Alle Evangelien heben seine demonstrative bedingungslose Zuwendung zu damals notleidenden unterdruckten und ausgegrenzten Gruppen hervor Die Armen aus der Volksmenge Mt 5 1 EU sind die ersten Adressaten des Wirkens Jesu Sie werden oft mit damals unheilbar Kranken Mk 1 32 EU aufgereiht Blinde Lahme Aussatzige Taube Tote Arme oder Arme Kruppel Blinde Lahme Beide Gruppen waren nahezu identisch da Armut Krankheit und soziale Isolation sich haufig gegenseitig bedingten Viele Zuge der Heilungswunder Jesu zeigen diesen Zusammenhang Besitzlose Arme hungerten waren zum Betteln gezwungen und oft nur notdurftig bekleidet oder nackt Hinzu kamen Gruppen die wegen ihrer gewollten oder ungewollten Rechtsverstosse auch von Armen verachtet und gemieden wurden Zollner und Sunder Mk 2 15ff EU Mt 11 16 19 EU Lk 7 31 35 EU 18 11 EU Prostituierte Mt 21 31 EU die Ehebrecherin Joh 8 3 11 EU Die Nahe die Jesus gerade zu Angehorigen solcher Gruppen suchte und pflegte sollte nicht nur ihre Isolation beenden Mk 1 40 44 EU sondern auch ihr Verhalten gegenuber ihren Mitmenschen verandern So gilt sein Gebot des Gewaltverzichts und der Feindesliebe gerade den Juden die von Heiden akut bedroht verfolgt und von nach deren Art lebenden Zollnern beraubt wurden Mt 5 38 48 EU wahrend er reiche Grundbesitzer zur Besitzaufgabe zugunsten der Armen einlud und verpflichtete Mk 10 17ff EU Die matthaische Textversion zitiert das Gebot der Nachstenliebe abschliessend als positives Gegenstuck zu den Verboten des Dekalogs Mt 19 19 EU Lk 19 8 EU stellt heraus dass der reiche Zollner Zachaus aufgrund Jesu Zuwendung sein Raubgut vierfach erstatten und zudem sein halbes Vermogen den Armen schenken wollte wahrend der reiche Mann in Lk 18 18ff EU eben dazu nicht fahig war Die Begrundung fur die Verhaltensanderung liegt fur Lk 7 41ff EU im Empfang der Vergebung Jesu Christi Selbsthingabe als Begrundung der Nachstenliebe Jesus als guter Hirte 3 Jahrh Mt 25 40 EU deutet die Werke der Barmherzigkeit christologisch Was ihr fur einen meiner geringsten Bruder getan habt das habt ihr mir getan Jesus ist demnach in den Armen jeder Zeit gegenwartig so dass Nachstenliebe fur diese zugleich Gottesliebe ist An diesem Massstab wurden alle Menschen Christen wie Nichtchristen zuletzt im Endgericht gemessen werden Nicht das richtige Glaubensbekenntnis sondern das Tun des Willens Gottes eins der haufigsten Verben im Munde Jesu sei zuletzt entscheidend Mt 7 21 EU Jesus selbst erfullte nach dem NT diesen Willen Gottes ganz indem er zuletzt sein eigenes Leben zur Rettung der Vielen aus dem erwarteten Endgericht hingab Mk 10 45 EU 14 24 EU Diese Hingabe fasst Jesu Sendung zusammen Lk 22 27 EU Ich bin unter Euch wie ein Diener Der Philipperhymnus beschreibt den Dienst Jesu Christi als Machtverzicht des Sohnes Gottes und Selbsterniedrigung in den Kreuzestod zugunsten der Menschlichkeit aller Menschen damit diese den wahren menschgewordenen Gott erkennen und wie er handeln konnen Phil 2 5 11 EU Gemeindebriefe Die Gemeindebriefe fordern immer wieder jeden Christen auf sich mit all seinen Fahigkeiten und besonderen Gaben fur Andere einzusetzen Dient einander ein jeder mit der Gabe die er empfangen hat 1 Petr 4 10 EU vgl Rom 12 3 8 EU Dies gilt jedoch entsprechend der Sendung Jesu weit uber den Bereich der christlichen Gemeinde hinaus Soviel an euch liegt so haltet mit allen Menschen Frieden Rom 12 18 EU Lass dich nicht vom Bosen uberwinden sondern uberwinde das Bose mit Gutem Rom 12 21 EU Die Liebe tut dem Nachsten nichts Boses So ist die Liebe des Gesetzes Erfullung Rom 13 10 EU Hier wie auch in Gal 5 14 EU zitiert Paulus das Gebot der Nachstenliebe ohne das erste Gebot aber wie Jesus als konkretes Handeln an Notleidenden das alle sonstigen Gebote der Tora erfullt und Feindesliebe gegenuber gewalttatigen Verfolgern einschliesst Fur den Jakobusbrief ist Lev 19 18 das konigliche Gesetz das die Christen gemass der Schrift ohne Ansehen der Person erfullen sollen Nachstenliebe erfullt hier nicht die ubrigen Gebote sondern mit ihr soll deren Erfullung beginnen Jak 2 8 ff EU Im Johannesevangelium gibt der Abschied nehmende Sohn Gottes seinen Jungern ein neues Gebot einander zu lieben wie Gott sie durch Jesus geliebt habe Joh 13 34 EU u a Durch diese gegenseitige Liebe der Christen sollen alle Menschen Gott in Christus erkennen 13 35 EU Dem folgend betont der 1 Brief des Johannes die Bruderliebe die jeden Hass ausschliesse wer seinen Bruder hasse und dem Notleidenden nicht mit all seinem Vermogen ja seinem Leben helfe beweise damit dass er auch Gott nicht lieben konne Im Ersten Korintherbrief beschreibt Paulus das Wesen und die Wirkung der Liebe agape die hier in einer Trias neben Glaube und Hoffnung geruhmt wird siehe christliche Tugenden Dieser beruhmte Hymnus bezieht sich in erster Linie auf die Liebe die fur Paulus als Wesen Gottes in Jesus Christus letztgultig offenbar geworden ist Ihr entsprechen auf menschlicher Seite die Nachstenliebe die Bruderliebe und die gegenseitige Liebe zwischen Mann und Frau Wenn ich mit Menschen ja mit Engelszungen redete und hatte aber die Liebe nicht so ware ich ein tonendes Erz oder eine klingende Schelle Und wenn ich all meine Habe den Armen gabe und fur Christus durchs Feuer ginge und hatte aber die Liebe nicht es nutzte mir nichts Die Liebe ist langmutig und freundlich sie kennt keine Eifersucht sie prahlt nicht sie blaht sich nicht auf sie handelt nicht taktlos sie sucht nicht den eigenen Vorteil sie wird nicht bitter durch schlechte Erfahrung sie rechnet das Bose nicht zu Sie freut sich nicht uber das Unrecht vielmehr freut sie sich uber die Wahrheit Sie ertragt alles sie glaubt alles sie hofft alles sie duldet alles Die Liebe hort niemals auf Nun aber bleiben Glaube Hoffnung Liebe diese drei aber die Liebe ist die grosste unter ihnen Paulus 1 Kor 13 1 13 EU Christliche AuslegungenGuido Reni Caritas die tatige NachstenliebeDie Nachstenliebe Gemalde von Francois Bonvin 1851 Alles Tun soll der Liebe entspringen Augustinus von Hippo 354 430 forderte mit seinem haufig zitierten Satz dilige et quod vis fac dazu auf jedes Handeln aus der Liebe heraus zu begrunden Liebe und tu was du willst Schweigst du so schweige aus Liebe Redest du so rede aus Liebe Kritisierst du so kritisiere aus Liebe Verzeihst du so verzeih in Liebe Lass all dein Handeln in der Liebe wurzeln denn aus dieser Wurzel erwachst nur Gutes Die wahre Liebe ist fur Augustinus die Liebe zu Gott die Liebe zum Nachsten caritas Diese Liebe soll angefacht werden Die Liebe zur Welt und zur Zeitlichkeit nennt er Begierde cupiditas Die Begierde die das Geliebte zu besitzen trachtet soll gezugelt werden Menschen sollen nicht so geliebt werden wie eine gute Mahlzeit die aufgezehrt wird Die personliche Liebe sei vielmehr eine Freundschaft des reinen Wohlwollens Bei der Feindesliebe soll man nach Augustinus auf das Gute schauen das in der Natur des Feindes liegt und noch mehr auf das Bessere das der Feind noch werden kann Man liebe in ihm nicht was er ist sondern was man wolle dass er sei Lieben bedeutet fur Augustinus sich Gott zu nahern und in Gott einzugehen Augustinus betont die Einheit des Doppelgebotes der Gottes und Nachstenliebe Beide Weisen der Liebe entspringen derselben Quelle Weil Gott Liebe ist ist die Liebe die der Mensch ihm entgegenbringt in seine Liebe zum Nachsten eingeschlossen Liebt wer den Bruder liebt auch Gott Notwendigerweise liebt er die Liebe selbst Kann man etwa den Bruder lieben ohne die Liebe zu lieben Im Lieben der Liebe liebt man Gott Frohlichkeit in der Nachstenliebe Martin Luther 1483 1546 betonte die Bedeutung der Frohlichkeit Siehe also fliesst aus dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott und aus der Liebe ein freies williges frohliches Leben dem Nachsten umsonst zu dienen Denn gleichwie unser Nachster Not leidet und unsers Ubrigen bedarf also haben wir vor Gott Not gelitten und seiner Gnaden bedurft Darum wie uns Gott durch Christum umsonst geholfen hat also sollen wir durch den Leib und seine Werke nichts anderes tun als dem Nachsten helfen Die gleiche Liebe gilt Gott und dem Nachsten In seinem Traktat uber die Gottesliebe erklarte Franz von Sales 1567 1622 So gilt die gleiche Liebe Gott und unserem Nachsten durch sie werden wir zur Vereinigung mit der Gottheit emporgehoben und steigen zum Menschen herab um in Gemeinschaft mit ihm zu leben So jedenfalls lieben wir den Nachsten als Bild und Gleichnis Gottes geschaffen um mit der Gute Gottes verbunden zu sein an seiner Gnade teilzunehmen und sich seiner Herrlichkeit zu erfreuen Den Nachsten lieben heisst Gott lieben im Menschen oder den Menschen in Gott es heisst Gott um seiner selbst willen lieben und das Geschopf um der Liebe Gottes willen Den Nachsten von Gott her lieben Eine moderne Auslegung ist die Enzyklika Deus caritas est 2005 von Papst Benedikt XVI Darin fuhrt er aus Nachstenliebe besteht ja darin dass ich auch den Mitmenschen den ich zunachst gar nicht mag oder nicht einmal kenne von Gott her liebe Das ist nur moglich aus der inneren Begegnung mit Gott heraus die Willensgemeinschaft geworden ist und bis ins Gefuhl hineinreicht Dann lerne ich diesen anderen nicht mehr bloss mit meinen Augen und Gefuhlen anzusehen sondern aus der Perspektive Jesu Christi heraus Sein Freund ist mein Freund Ich sehe durch das Aussere hindurch sein inneres Warten auf einen Gestus der Liebe auf Zuwendung die ich nicht nur uber die dafur zustandigen Organisationen umleite und vielleicht als politische Notwendigkeit bejahe Ich sehe mit Christus und kann dem anderen mehr geben als die ausserlich notwendigen Dinge den Blick der Liebe den er braucht Hier zeigt sich die notwendige Wechselwirkung zwischen Gottes und Nachstenliebe von der der Erste Johannesbrief so eindringlich spricht Wenn die Beruhrung mit Gott in meinem Leben ganz fehlt dann kann ich im anderen immer nur den anderen sehen und kann das gottliche Bild in ihm nicht erkennen Wenn ich aber die Zuwendung zum Nachsten aus meinem Leben ganz weglasse und nur fromm sein mochte nur meine religiosen Pflichten tun dann verdorrt auch die Gottesbeziehung Dann ist sie nur noch korrekt aber ohne Liebe Nur meine Bereitschaft auf den Nachsten zuzugehen ihm Liebe zu erweisen macht mich auch fuhlsam Gott gegenuber Nur der Dienst am Nachsten offnet mir die Augen dafur was Gott fur mich tut und wie er mich liebt Gottes und Nachstenliebe sind untrennbar Es ist nur ein Gebot Beides aber lebt von der uns zuvorkommenden Liebe Gottes der uns zuerst geliebt hat So ist es nicht mehr Gebot von aussen her das uns Unmogliches vorschreibt sondern geschenkte Erfahrung der Liebe von innen her die ihrem Wesen nach sich weiter mitteilen muss Liebe wachst durch Liebe Sie ist gottlich weil sie von Gott kommt und uns mit Gott eint uns in diesem Einungsprozess zu einem Wir macht das unsere Trennungen uberwindet und uns eins werden lasst so dass am Ende Gott alles in allem ist vgl 1 Kor 15 28 EU Sich in den Nachsten hineinversetzen Haufig wird der Satzbestandteil des Gebots wie dich selbst so aufgefasst dass die Eigenliebe der Massstab der Liebe zum Nachsten sein solle Dazu schreibt etwa der katholische Theologe Peter Knauer Selbst die Goldene Regel bzw die Forderung den Nachsten wie sich selbst zu lieben wird haufig im Zug des Gedankens der Selbstverwirklichung so interpretiert dass das Mass der Eigenliebe zum Mass der Nachstenliebe werden solle Aber ist es uberhaupt moglich sich selber Geborgenheit zu schenken Und soll man etwa das was man sich selber wunscht anderen aufnotigen Zwangsbegluckung kann die schlimmste Form von Ungluck sein In Wirklichkeit geht es in der Forderung den Nachsten wie sich selbst zu lieben anstelle von Selbstliebe um die Fahigkeit sich selber in die Situation anderer hineinzuversetzen und dann in deren wirklichem Interesse zu handeln Dabei genugt es nicht vermeintlich im Interesse der anderen zu handeln man muss alles tun um sich vor solcher Selbsttauschung zu schutzen Naturlich kann es auch nicht darum gehen anderen unter Vernachlassigung der eigenen Person zu helfen und dadurch letztlich auch die Hilfe selbst zu untergraben Barmherzigkeit als Aufgabe Die praktische Umsetzung der Nachstenliebe ist Barmherzigkeit Im Zusammenspiel mit Feier Liturgia und Verkundigung bzw Zeugnis Martyria ist die tatige Nachstenliebe griech Diakonia lat Caritas einer der drei Grundvollzuge christlicher Gemeinde Nach christlichem Verstandnis wird jemand der Gottes Liebe und Zuwendung erfahren hat diese nicht fur sich behalten sondern er wird sie an andere Menschen weitergeben Jesus von Nazaret gilt den Christen dabei als hochstes Vorbild Nachstenliebe ist in der praktischen Umsetzung der totale personliche Einsatz fur das Wohl des Anderen Menschen die in Not geraten sind brauchen Hilfe Dass man die Schwachen zu Grunde gehen lasst wie dies der Sozialdarwinismus lehrt ist mit dem Gebot der Nachstenliebe nicht vereinbar Tatige Nachstenliebe ist ein Dienst an den eigenen Mitmenschen Lk 22 27 EU Jeder wird aufgefordert sich nach seinen eigenen Fahigkeiten und Talenten einzusetzen 1 Petr 4 10 EU Es geht darum uneigennutzig fur den anderen da zu sein Die jeweilige Notlage gebietet was zu tun ist Armen Kranken und Altenpflege Lebenshilfe Erziehungs Ehe und Suchtberatung Gefangnis Krankenhaus und Telefonseelsorge die Behebung der sozialen Isolierung und Vereinsamung besonders in den Grossstadten die Integration von Menschen ohne ausreichende Sprachkenntnisse Um diese Aufgaben zu erfullen wurden beispielsweise die Caritas und das Diakonische Werk gegrundet Andere WeltreligionenIslam Zwar zitiert der Koran das Gebot der Nachsten und Feindesliebe anders als andere Toragebote nicht wortlich Doch von Mohammed sind die Satze uberliefert Niemand von Euch hat den Glauben erlangt solange er nicht fur seine Bruder liebt was er fur sich selbst liebt Keiner von Euch hat den Glauben erlangt solange ihr fur euren Nachbarn nicht liebt was ihr fur euch selbst liebt Demgemass ist soziale Wohltatigkeit Zakat eine der funf Saulen des Islam neben dem Glaubensbekenntnis Gebet Fasten und der Pilgerfahrt nach Mekka Ausgangspunkt dafur ist Gottes Gerechtigkeit gegenuber allen Geschopfen die den Muslim zu ebensolchem Verhalten verpflichtet Daher erhalt das an sich freiwillige Spenden von Almosen im Koran den Charakter einer festgelegten regelmassigen Besteuerung des Eigentums auf deren Erhalt Bedurftige einen Rechtsanspruch haben Sure 24 56 Und verrichtet das Gebet und entrichtet die Abgabe und gehorchet dem Gesandten auf dass ihr Erbarmen findet Auch deren Adressatenkreis wird festgelegt Sure 9 60 Die Almosen sind bestimmt fur die Armen die Notleidenden die die damit befasst sind d h soziale Dienste leisten die deren Herzen vertraut gemacht werden sollen d h um sie fur den Ubertritt zum Islam zu gewinnen fur den Loskauf von Sklaven die Verschuldeten fur den Einsatz auf dem Weg Gottes und fur den Reisenden u a mittellose Pilgerfahrer Welcher Besitz wie hoch besteuert werden soll lasst der Koran offen In der Sunna und der Scharia wurden daher teilweise komplizierte Regelungen fur verschiedene Berufs und Einkommensgruppen getroffen Als Begrundungen fur dieses den Bedurftigen zugewandte Handeln nennt der Koran Dank fur die Gute des Schopfers die den Ernst des eigenen Glaubens an ihn ausdruckt Sure 73 20 sichtbare Reue fur Versaumnisse und Bitte um Vergebung dafur Achtung fur die muslimische Solidargemeinschaft Umma zu der moglichst alle Menschen gehoren sollen und konnen Ausgleich zwischen Vermogenden und Besitzlosen um soziale Gegensatze zu verringern Gottes Recht auf seine Schopfung dem die gerechte Verteilung der lebensnotwendigen Guter entspricht Nach der Erfullung der von Gott gegebenen Gesetze wird jeder Einzelne im Endgericht beurteilt Mitmenschlichkeit kann als gottgefalliges Werk angerechnet und mit Gottes Barmherzigkeit erwidert werden Buddhismus Bodhisattva Maitreya verkorpert die allumfassende Liebe Im Buddhismus ab 5 Jahrhundert v Chr hat Karuna als tatiges Mitgefuhl und Erbarmen eine ahnlich hohe Bedeutung ohne jedoch an ein Gottesgebot anzuknupfen Der Begriff umfasst alle Handlungen die helfen das Leiden anderer zu verringern Karuna grundet auf der Erfahrung der Einheit alles Seienden in der Erleuchtung und erstreckt sich unterschiedslos auf alle Lebewesen In dem Sutta 27 des Itivuttaka findet sich eine Lehrrede des Buddha uber die Liebe Wer Liebe entstehen lasst unermessliche mit Bedacht dunn werden die Bande ihm der das Versiegen des Anhaftens schaut Nur einem Lebewesen mit einer arglosen Gesinnung Liebe erweisend wird er dadurch tugendhaft Mit allen Wesen im Geist mitleidig erwirkt der Edle reiches Verdienst Wer nicht totet nicht toten lasst nicht unterdruckt nicht unterdrucken lasst Liebe erzeigt allen Wesen Feindschaft droht ihm von niemandem Der japanische Gelehrte Daisetz T Suzuki erklarte das buddhistische Ideal des Bodhisattva der Bodhisattva ermudet nie in seinem Bestreben allen Wesen durch sein aufopferungsvolles Leben in jeder Weise Gutes zu tun Kann er sein Werk nicht in einem oder mehreren Leben vollenden so ist er bereit unzahlige Male bis ans Ende aller Zeit wiedergeboren zu werden Sein Handeln ist nicht auf diese Welt beschrankt der Kosmos ist von unzahligen Welten erfullt und uberall manifestiert er sich bis jedes Wesen von Verblendung und Ichsucht befreit ist VerhaltensbiologiePelikan reisst sich die Brust auf Symbol der Nachstenliebe Verhaltensbiologisch werden Liebe und Mildtatigkeit in das prosoziale System eingeordnet dem das agonistische System mit Werten wie Heldentum und Gehorsam gegenubergestellt wird Auch bei Tieren wird ein moralanaloges Verhalten beobachtet etwa bei Affen Nilpferden und Ratten Gerade kritische Bereiche im Sozialleben werden durch stammesgeschichtliche Anpassung abgesichert Irenaus Eibl Eibesfeldt erklart dazu Manche opfern sich zum Beispiel fur ihre Jungen auf stehen bedrohten Artgenossen bei respektieren Partnerbeziehungen und schonen in bestimmten Situationen Artgenossen die sich ihnen im Verlauf eines Kampfes durch Demutsverhalten unterwerfen Die Entscheidung kann in Ubereinstimmung mit den biologischen Normen erfolgen sich aber auch gegen unsere Triebnatur richten Rationalitat erfordert einen affektentlasteten klaren Kopf Die Liebe habe sich aus der Brutpflege entwickelt die auf alle Gruppenmitglieder ubertragen worden sei Sie lieferte die Werkzeuge zum Freundlichsein und in ihr entwickelte sich die Fahigkeit zu individualisierter Bindung zur Liebe also die gleichzeitig die Wirkung agonaler Signale abschwacht War dieser Familialisierungsmechanismus einmal im Rahmen der Brutpflege entwickelt dann bedurfte es nicht besonders viel auch andere uber das Bekanntwerden als Austauschpartner altruistisch einzubinden Dies entspreche der christlichen Ikonographie die die Caritas meist mit Kleinkindern und oftmals saugend darstelle Eine verhaltensbiologische Neigung setze aber den freien Willen nicht ausser Kraft und vermoge deshalb auch die Nachstenliebe nicht abschliessend zu erklaren Im Belohnungssystem des Gehirns konne Nachstenliebe zur Ausschuttung korpereigener Botenstoffe fuhren Man kann allerdings auch ohne Drogen hirnchemische Prozesse aktivieren die angenehme Gefuhle oder Rauschzustande vermitteln und das bis zur Sucht kultivieren Der Mensch kann sich an seiner Tugendhaftigkeit berauschen im agonistischen Bereich als Held im fursorglichen als Heiliger Daruber hinaus ist Nachstenliebe als ausserlich von einer Gruppe beobachtbares Handeln wie generell jedes altruistische Verhalten geeignet auf die Ressourcen und positiven Charaktereigenschaften des Handelnden hinzuweisen und so seinen sozialen Status zu starken und ihm einen Prestigegewinn zu verschaffen Kategorischer ImperativImmanuel Kant Die neuzeitliche Philosophie grenzte sich seit dem Zeitalter der Aufklarung zunehmend gegen die an partikulare Glaubensbekenntnisse gebundene kirchliche Dogmatik und Ethik ab und versuchte eine allgemeingultige Ethik des sozialen Miteinanders rational in menschlicher Einsichtsfahigkeit und gutem Willen zu begrunden So hat Immanuel Kant das auf das Wohl des Nachsten bezogene vom guten Willen gesteuerte Handeln formal mit dem kategorischen Imperativ begrundet Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger und zwar dieser handle nur nach derjenigen Maxime durch die du zugleich wollen kannst dass sie ein allgemeines Gesetz werde Darin ist vorausgesetzt dass Menschsein nur als auf anderes Menschsein angewiesen und als auf das Allgemeinwohl ausgerichtete Solidaritat denkbar und wunschenswert ist Fur Kant grundet das Gebot der Nachstenliebe im kategorischen Imperativ Die Pflicht der Nachstenliebe kann also auch so ausgedruckt werden sie ist die Pflicht anderer ihre Zwecke so fern diese nur nicht unsittlich sind zu den meinen zu machen die Pflicht der Achtung meines Nachsten ist in der Maxime enthalten keinen anderen Menschen bloss als Mittel zu meinen Zwecken abzuwurdigen nicht zu verlangen der andere solle sich selbst wegwerfen um meinem Zwecke zu fronen Dass das rationale Denken allein diese grundlegende menschliche Solidaritat mit anderen Menschen nicht begrunden kann vertrat Irene Harand 1935 in ihrer fruhen Analyse der Ideologie Adolf Hitlers Wenn die Menschen nichts fur den Nachsten empfinden was soll sie davon abhalten sich gegenseitig totzuschlagen Dort wo menschliches Empfinden vorhanden ist scheut man sich die furchterlichen Waffen die schauerlichen Giftgase gegen seine Nachbarn anzuwenden Wo aber das Gefuhl ausgeschaltet wird dort gibt es auch keine Hemmung fur die restlose Vernichtung der Mitmenschen fur die Vergiftung ganzer Bevolkerungsteile auch wehrloser Manner Frauen und Kinder Kritik der NachstenliebeNietzsche um 1875 Friedrich Nietzsche hat die Nachstenliebe als dekadent bezeichnet Dass man die untersten Instinkte des Lebens verachten lehrt dass man in der tiefsten Nothwendigkeit zum Gedeihen des Lebens in der Selbstsucht das bose Princip sieht dass man in dem typischen Ziel des Niedergangs der Instinkt Widerspruchlichkeit im Selbstlosen im Verlust des Schwergewichts in der Entpersonlichung und Nachstenliebe grundsatzlich einen hoheren Werth was sage ich den Werth an sich sieht Wie Ware die Menschheit selber in decadence Ware sie es immer gewesen Was feststeht ist dass ihr nur decadence Werthe als oberste Werthe gelehrt worden sind Die Entselbstungs Moral ist die typische Niedergangs Moral par excellence Friedrich Nietzsche In seinem Werk Also sprach Zarathustra pragte Nietzsche den Begriff der Fernstenliebe Sigmund Freud kritisierte das Liebesgebot als Uberforderung In seinem grundlegenden Essay Das Unbehagen in der Kultur 1929 1930 bezeichnete er es als die starkste Abwehr der menschlichen Aggression und ein ausgezeichnetes Beispiel fur das unpsychologische Vorgehen des Kultur Uber Ichs Das Gebot ist undurchfuhrbar eine so grossartige Inflation der Liebe kann nur deren Wert herabsetzen nicht die Not beseitigen Hans Jonas erklarte in seinem Hauptwerk Das Prinzip Verantwortung 1979 das christliche Liebesgebot greife zu kurz und sei auf den unmittelbaren Umkreis der Handlung begrenzt Man beachte dass in all diesen Maximen der Handelnde und der Andere seines Handelns Teilhaber einer gemeinsamen Gegenwart sind Es sind die jetzt Lebenden und in irgendwelchem Verkehr mit mir stehenden Dies reiche angesichts der okologischen Krise und der technischen Moglichkeit die Menschheit dauerhaft auszuloschen als Handlungsmaxime nicht mehr aus Mit dem Wandel der Technik musse die Ethik zur Fernstenliebe erweitert werden Jonas formulierte einen okologischen Imperativ Handle so dass die Wirkungen deiner Handlung vertraglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden Rezeption in der LiteraturW Somerset Maugham hat 1899 eine Short Story A Bad Example veroffentlicht deren Hauptfigur der Londoner Buroangestellte James Clinton seine Umgebung in Irritation versetzt und am Ende ins Irrenhaus eingewiesen wird als er eines Tages anfangt Christi Gebot der Nachstenliebe wortwortlich zu nehmen und fur die Armen der Stadt nicht nur seine Zeit sondern auch all sein Geld herzugeben LiteraturAllgemein Robert Hamlett Bremner Giving Charity and Philanthropy in History Transaction Publishers New Brunswick 2000 ISBN 1 56000 884 9 Matthias Drescher Die Zukunft unserer Moral Wie die Nachstenliebe entstanden ist und wieso sie den christlichen Glauben uberlebt Tectum Verlag Baden Baden 2019 ISBN 978 3 8288 4275 5 Heiner Geissler Nachstenliebe und Solidaritat In Gudrun Hentges Bettina Losch Hrsg Die Vermessung der sozialen Welt Neoliberalismus Extreme Rechte Migration im Fokus der Debatte Verlag fur Sozialwissenschaften Wiesbaden 2011 ISBN 978 3 531 16829 6 S 99 102 Hubert Meisinger Liebesgebot und Altruismusforschung Ein exegetischer Beitrag zum Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft Akademische Presse Freiburg 1996 ISBN 3 7278 1093 9 Morton Hunt Das Ratsel der Nachstenliebe Der Mensch zwischen Egoismus und Altruismus Campus 1992 ISBN 3 593 34621 4 Adel Theodor Khoury Peter Hunermann Hrsg Wer ist mein Nachster Die Antwort der Weltreligionen Herder Freiburg im Breisgau 1988 Heinz Vonhoff Geschichte der Barmherzigkeit 5000 Jahre Nachstenliebe 1960 Quell Verlag Stuttgart 1987 ISBN 3 7918 1081 2 Walter Jens Hrsg Vom Nachsten Deutscher Taschenbuch Verlag Munchen 1984 Hebraische Bibel und Judentum Hans Peter Mathys Liebe deinen Nachsten wie dich selbst Untersuchungen zum alttestamentlichen Gebot der Nachstenliebe Lev 19 18 Vandenhoeck amp Ruprecht 2 Auflage 1997 ISBN 3 525 53698 4 Heinz Kremers Adam Weyer Liebe und Gerechtigkeit Gesammelte Beitrage Neukirchener Verlag Neukirchen Vluyn 1990 ISBN 3 7887 1324 0 Rachel Rosenzweig Solidaritat mit den Leidenden im Judentum Studia Judaica 10 Walter de Gruyter Berlin 1978 Andreas Nissen Gott und der Nachste im antiken Judentum Mohr Siebeck Tubingen 1974 ISBN 3 16 135122 3 Leo Baeck Das Wesen des Judentums 4 Auflage 1925 Fourier Wiesbaden 1985 ISBN 3 921695 24 4 S 210 250 Der Glaube in den Nebenmenschen Neues Testament Thomas Soding Nachstenliebe Gottes Gebot als Verheissung und Anspruch Freiburg im Breisgau 2015 ISBN 978 3 451 31567 1 Ansgar Moenikes Der sozial egalitare Impetus der Bibel Jesu und das Liebesgebot als Quintessenz der Tora Echter Wurzburg 2007 ISBN 3 429 02892 2 Michael Ebersohn Elwert Das Nachstenliebegebot in der synoptischen Tradition N G 1993 ISBN 3 7708 1011 2 Christliche Theologie Gudrun Guttenberger Nachstenliebe Kreuz Verlag Stuttgart 2007 ISBN 3 7831 2784 X Josef Schreiner Rainer Kampling Der Nachste der Fremde der Feind Perspektiven des Alten und Neuen Testaments Echter Wurzburg 2000 ISBN 3 429 02169 3 Andrea Tafferner Gottes und Nachstenliebe in der deutschsprachigen Theologie des 20 Jahrhunderts Tyrolia Innsbruck 1992 Richard Volkl Nachstenliebe die Summe der christlichen Religion Lambertus Freiburg im Breisgau 1987 Buddhismus Daisetz T Suzuki Karuna O W Barth Bern 1989 ISBN 3 502 64597 3 Hinduismus Dorothea Kuhrau Neumarker Karma und Caritas Soziale Arbeit im Kontext des Hinduismus Lit Munster 1990 Kritik Friedrich Nietzsche Jenseits von Gut und Bose Vorspiel zu einer Philosophie der Zukunft 1886 Friedrich Nietzsche Zur Genealogie der Moral Eine Streitschrift 1887 Sigmund Freud Das Unbehagen in der Kultur und andere kulturtheoretische Schriften Fischer Frankfurt am Main 2001 ISBN 3 596 10453 X S 29 108 Hans Jonas Das Prinzip Verantwortung Versuch einer Ethik fur die technologische Zivilisation Suhrkamp Frankfurt am Main 1984 ISBN 3 518 39992 6 WeblinksWiktionary Nachstenliebe Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Wikiquote Nachstenliebe Zitate Peter Heine Nicht nur Almosen Solidaritat und Nachstenliebe im Islam Herder Korrespondenz 2006 6 S 302 306 EinzelnachweiseGeorgi Schischkoff Philosophisches Worterbuch 22 Auflage Kroner Stuttgart 1991 S 500 K E Logstrup Nachstenliebe In Historisches Worterbuch der Philosophie Bd 6 1984 Sp 354 Edward Noort Artikel Nachster I 2 Bedeutungsfeld des Begriffs Nachster in Theologische Realenzyklopadie Band 23 Walter de Gruyter Berlin 1994 ISBN 3 11 013852 2 S 713f Artikel plasion in Gerhard Fichtner Hrsg Theologisches Worterbuch zum Neuen Testament Band VI Kohlhammer Stuttgart 1959 S 310 314 Frank Crusemann Die Tora Munchen 1992 S 377 Thomas Staubli Die Bucher Levitikus und Numeri Neuer Stuttgarter Kommentar Altes Testament Band 3 Katholisches Bibelwerk Stuttgart 1996 ISBN 3 460 07031 5 S 154 163 Walter Homolka Hrsg Fritz Bamberger Die Lehren des Judentums nach den Quellen Band 1 Originalausgabe Leipzig 1928 1930 Neue und erweiterte Ausgabe Knesebeck Munchen 1999 ISBN 3 89660 058 3 S 328 ff und 350 Walther Zimmerli Jahwes Gebot fur den Umgang mit Menschen und Gutern In Grundriss der alttestamentlichen Theologie Kohlhammer Stuttgart 1972 S 115 122 Reinhard Neudecker Artikel Nachster II Judentum in Theologische Realenzyklopadie Band 23 Walter de Gruyter Berlin 1994 ISBN 3 11 013852 2 S 716f Schabbat 31a vgl Reinhold Mayer Der babylonische Talmud Goldmann Munchen 1963 S 227 Gerd Theissen Annette Merz Der historische Jesus 2 Auflage 1997 S 343 Eugen Drewermann Markusev Teil II S 290 Frederick R Lachmann Die judische Religion Aloys Henn Kastellaun 1977 S 162f Samuel Laniado Kli Hemda zitiert nach Arthur Hertzberg Der Judaismus Stuttgart 1981 S 149 f Deutsche Ausgabe Semuel Laniado Keli ḥemda Erwunschtes Gerath Erlauterungen zum Pentateuch und zum Midrasch Rabba Prag 1609 1610 Hrsg von Gerschom ben Bezal el ha Kohen zur Ubersetzung Franz Rosenzweig Sprachdenken im Ubersetzen 2 Band Arbeitspapiere zur Verdeutschung der Schrift In Ders Der Mensch und sein Werk Gesammelte Schriften Haag Nijhoff 1984 S 140 Auf der Ruckseite des Manuscriptblatts steht auf hebraisch wohl von Buber geschrieben was wahrscheinlich ein Zitat von Wessely ist kamoka das beutet der dir ahnlich ist und so bedeutet hier liebe kamoka er ist wie du denn auch er ist im Bilde Gottes geschaffen Diese Auslegung wurde von Buber im Vorwort zu dem Schocken Bandchen Hermann Cohen Der Nachste Berlin 1935 weitergefuhrt und dann in einem hebraischen Artikel w ahabta re aka kamoka in Darko schel Mikra Jerusalem 1964 S 103 105 formuliert David Flusser Neue Sensibilitat im Judentum und christliche Botschaft In David Flusser Bemerkungen eines Juden zur christlichen Theologie Munchen 1984 S 35 53 Zustimmend Gerd Theissen Annette Merz Der historische Jesus Ein Lehrbuch 4 Auflage Gottingen 2011 S 350 Wolfgang Stegemann Jesus und seine Zeit Stuttgart 2010 S 295f ISBN 978 3 17 012339 7 Mt 5 3 EU par Lk 6 20 EU Lk 4 18 EU Lk 7 22 EU par Mt 11 5 EU Lk 14 13 21 EU Mk 10 46 52 EU Lk 4 31 37 EU 4 38 42 EU 5 12 16 EU 5 17 26 EU 6 6 11 18f EU usw Mk 14 7 EU Mt 6 25 EU 25 35f EU Lk 3 11 EU 16 20 EU Apg 3 1ff EU Jak 2 15f EU Wolfgang Stegemann Das Evangelium und die Armen Christian Kaiser Munchen 1981 ISBN 3 459 01393 1 S 10 15 Gerd Theissen Annette Merz Der historische Jesus 4 Auflage Gottingen 2011 S 349 1 Joh 2 7 11 EU 3 11ff EU 3 17f EU 4 11f EU 4 19ff EU Brockhaus Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament Hrsg Lothar Coenen Wuppertal 1986 ISBN 3 417 24849 3 S 899 Augustinus In epistulam Iohannis ad Parthos tractatus 7 8 Vgl Joseph Mausbach Die Ethik des heiligen Augustinus Erster Band Die sittliche Ordnung und ihre Grundlagen Hamburg 2010 S 176 ff Augustinus Ep 10 9 10 Martin Luther An den christlichen Adel deutscher Nation Goldmann 1958 S 148 Franz von Sales Traktat uber die Gottesliebe zit nach George Brantl Der Katholizismus Stuttgart 1981 S 275 Enzyklika DEUS CARITAS EST von Papst Benedikt XVI Peter Knauer Handlungsnetze Uber das Grundprinzip der Ethik Frankfurt a M 2002 PDF S 13 f Vgl nur exemplarisch Evangelischer Erwachsenenkatechismus 3 Aufl Gutersloh 1977 S 1206 Sahih Al Bukhari Kitab al Iman Hadith no 13 Sahih Muslim Kitab al Iman 67 1 Hadith no 45 Hans Kung Der Islam Geschichte Gegenwart Zukunft Piper Munchen 2004 S 178f Anonymus Lexikon der ostlichen Weisheitslehren Dusseldorf 2005 S 185 f Ubersetzt von Klaus Mylius Die vier edlen Wahrheiten Stuttgart 1998 S 257 Daisetz T Suzuki Karuna Bern 1989 S 214 Konrad Lorenz Das sogenannte Bose Wien 1963 S 149 ff Berliner Tagesspiegel Nachstenliebe und Mitleid im Tierreich Selbst Ratten lasst der fremde Schmerz nicht kalt 7 Januar 2005 Irenaus Eibl Eibesfeldt Die Biologie des menschlichen Verhaltens Weyarn 1997 S 956 Irenaus Eibl Eibesfeldt Die Biologie des menschlichen Verhaltens Weyarn 1997 S 969 Irenaus Eibl Eibesfeldt Die Biologie des menschlichen Verhaltens Weyarn 1997 S 975 Vgl dazu Charlie L Hardy und Mark Van Vugt Giving for glory in social dilemmas The competitive altruism hypothesis In Personality and Social Psychology Bulletin 32 2006 1402 1413 Heckathorn DD 1989 Naheres zur allgemeinen Altruismusforschung im Artikel Altruismus Immanuel Kant Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Kants Werke Akademie Textausgabe 1903 S 421 Immanuel Kant Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft Kants Werke Akademie Textausgabe 1968 S 450 Irene Harand Sein Kampf Antwort an Hitler Wien 1935 S 337f zitiert nach Wolfram Meyer zu Utrup Kampf gegen die judische Weltverschworung Propaganda und Antisemitismus der Nationalsozialisten 1919 bis 1945 Berlin 2003 S 37 Friedrich Nietzsche Nachlass 1887 1889 Kritische Studienausgabe Hrsg Giorgio Colli und Mazzino Montinari de Gruyter 1999 S 604 Friedrich Nietzsche Also Sprach Zarathustra Ein Buch Fur Alle und Keinen 1883 1885 Walter de Gruyter 1989 ISBN 978 3 11 005174 2 S 73 Sigmund Freud Das Unbehagen in der Kultur Internationaler Psychoanalytischer Verlag 1930 S 132 Hans Jonas Das Prinzip Verantwortung Frankfurt am Main 1989 S 23 f Hans Jonas Das Prinzip Verantwortung Frankfurt am Main 1989 S 36 A Bad Example Digitalisat Abgerufen am 21 Juli 2024 Normdaten Sachbegriff GND 4041110 2 GND Explorer lobid OGND AKS