Der sprachgeschichtliche Begriff Quantitätenkollaps bezeichnet die Entwicklung der Quantitäten Länge bzw Kürze von Vokal
Quantitätenkollaps

Der sprachgeschichtliche Begriff Quantitätenkollaps bezeichnet die Entwicklung der Quantitäten (Länge bzw. Kürze) von Vokalen in antiken Sprachen. Im Folgenden wird diese Entwicklung im Lateinischen auf dem Weg zu den romanischen Sprachen sowie im Griechischen beschrieben.
Quantitäten
Im Lateinischen der klassischen Zeit (späte Republik und frühes Prinzipat) wurde zwischen kurzen und langen Vokalen unterschieden (den Vokalquantitäten); zu jedem der fünf Vokale gab es also eine lange und eine kurze Variante, wobei die Länge bedeutungsunterscheidend war:
līber (frei) – liber (Buch)
lēvis (glatt) – levis (leicht)
mālum (Apfel) – malum (Übel)
ōs (Mund) – os (Knochen)
lūtum (Gelbkraut) – lutum (Schlamm)
Beschreibung des Kollapses
Der Wandel der Aussprache dieser Vokale im Vulgärlatein ging vermutlich von einer veränderten Betonung aus: in betonten Silben tendierten die Vokale generell zur längeren Aussprache, in den übrigen Silben dagegen zur kürzeren. Dies hatte zur Folge, dass sich die ursprünglichen Kurz- und Langvokale in der Quantität einander anglichen, so dass sich zunächst folgendes Schema ergab:
Buchstabe | Klassisch | Vulgär | |
---|---|---|---|
kurzes A | ă | /a/ | /a/ |
langes A | ā | /aː/ | /a/ |
kurzes E | ĕ | /ɛ/ | /ɛ/ |
langes E | ē | /eː/ | /e/ |
kurzes I | ĭ | /ɪ/ | /ɪ/ |
langes I | ī | /iː/ | /i/ |
kurzes O | ŏ | /ɔ/ | /ɔ/ |
langes O | ō | /oː/ | /o/ |
kurzes V | ŭ | /ʊ/ | /ʊ/ |
langes V | ū | /uː/ | /u/ |
AE | æ | /aj/ /aɛ/ | /ɛ/ |
OE | œ | /oj/ /oe/ | /ø/ /e/ |
AV | au | /aw/ | /aw/, /ɔ/ |
In den betonten Silben entfiel daraufhin die Unterscheidung zwischen den einander nahestehenden Kurzvokalen
/ɪ/ und /e/,
/ʊ/ und /o/,
mit entsprechend wechselnder Schreibweise in den erhaltenen Quellen („i“/„e“ bzw. „u“/„o“).
In den unbetonten Silben ging die Reduktion der Vokale noch weiter; hier fielen jeweils
/ɪ/, /e/ und /ɛ/ zu /e/ und
/ʊ/, /o/ und /ɔ/ zu /o/ zusammen.
Zu beachten ist, dass dies eine vereinfachte Darstellung des Quantitätenkollapses ist, die einige Sonderentwicklungen aufgrund unterschiedlicher sprachlicher Voraussetzungen in den romanisierten Gebieten (Beeinflussung durch vorromanische Sprachen u. a.) nicht berücksichtigt.
Schriftbelege
Zu den ältesten Belegen gehört ein Brief, der bei Ausgrabungen in Ägypten (1924–1934) gefunden und im frühen 2. Jahrhundert n. Chr. – vermutlich im Jahre 133 – von einem römischen Soldaten (Claudius Terentianus) verfasst wurde. Darin finden sich folgende Beispiele für den Quantitätenkollaps:
- "acu lentiaminaque" statt acum linteaminaque (Akk.; Nähzeug)
- "sopera" (über, bezüglich) statt supra (Präp.; über)
Etliche weitere Belege enthält die Wörterliste Appendix Probi, u. a.:
- "tolonium non toloneum"
- "columna non colomna"
- "ostium non osteum"
- "puella non poella"
Beispiele für Auswirkungen des Quantitätenkollapses
Erkennbar ist bei lentiamina- die beginnende Hiattilgung: /e/ und /i/ vor weiterem Vokal fielen zunächst zu /ɪ/ zusammen, bevor sie zu /j/ wurden. Dieser Laut bewirkte im späteren 2. Jahrhundert die Palatalisierung eines vorangehenden /t/ und damit die Weiterentwicklung von /tj/ zu einem Zischlaut: "Vincentza" statt Vincentia, "tersiu" statt tertiu(m) usw.; dadurch entstanden u. a. im heutigen Italienischen und Französischen die Wörter piazza (Platz) aus platea und grâce (Gnade) aus gratia.
Konnten mit Hilfe der langen und kurzen Vokale im klassischen Latein noch unterschiedliche Kasus markiert werden, war dies im Vulgärlatein nicht mehr möglich, da die beiden Formen nun gleich lauteten. So musste man verstärkt Präpositionen verwenden, um die Kasus eindeutig voneinander zu unterscheiden. Deshalb werden heute in so gut wie allen romanischen Sprachen (mit Ausnahme des Rumänischen) sämtliche Kasus durch Präpositionen ausgedrückt.
Die Entwicklung im Griechischen
Wie das Latein kannte auch das Altgriechische lange und kurze Vokale. Im Gegensatz zur Entwicklung im Vulgärlatein blieben beim Griechischen mit Ausnahme von [
], das zu [ ] gehoben wurde, die Qualitäten erhalten, während das System der Quantitäten vollkommen zusammengebrochen ist.Quellen
- Reinhard Kiesler, Einführung in die Problematik des Vulgärlateins, Tübingen 2006, ISBN 978-3-484-54048-4, S. 42
- Johannes Kramer, Vulgärlateinische Alltagsdokumente auf Papyri, Ostraka, Täfelchen und Inschriften, Berlin und New York 2007, ISBN 978-3-11-020224-3, S. 24–26, 63–71
- Johannes Kramer, Vulgärlateinische Alltagsdokumente auf Papyri, Ostraka, Täfelchen und Inschriften, Berlin und New York 2007, ISBN 978-3-11-020224-3, S. 63–71
- Johannes Kramer, Vulgärlateinische Alltagsdokumente auf Papyri, Ostraka, Täfelchen und Inschriften, Berlin und New York 2007, ISBN 978-3-11-020224-3, S. 68
- Leonard R. Palmer, Die lateinische Sprache, Hamburg 2000, ISBN 3-87548-220-4, S. 181
- Josef G. Mitterer: Lautwandel: 157 Lautschicksale mit Beispielen, Deutung und Erläuterungen. KDP 2019, ISBN 978-1797576749, S. 86.
Autor: www.NiNa.Az
Veröffentlichungsdatum:
wikipedia, wiki, deutsches, deutschland, buch, bücher, bibliothek artikel lesen, herunterladen kostenlos kostenloser herunterladen, MP3, Video, MP4, 3GP, JPG, JPEG, GIF, PNG, Bild, Musik, Lied, Film, Buch, Spiel, Spiele, Mobiltelefon, Mobil, Telefon, android, ios, apple, samsung, iphone, xiomi, xiaomi, redmi, honor, oppo, nokia, sonya, mi, pc, web, computer, komputer, Informationen zu Quantitätenkollaps, Was ist Quantitätenkollaps? Was bedeutet Quantitätenkollaps?
Der sprachgeschichtliche Begriff Quantitatenkollaps bezeichnet die Entwicklung der Quantitaten Lange bzw Kurze von Vokalen in antiken Sprachen Im Folgenden wird diese Entwicklung im Lateinischen auf dem Weg zu den romanischen Sprachen sowie im Griechischen beschrieben QuantitatenIm Lateinischen der klassischen Zeit spate Republik und fruhes Prinzipat wurde zwischen kurzen und langen Vokalen unterschieden den Vokalquantitaten zu jedem der funf Vokale gab es also eine lange und eine kurze Variante wobei die Lange bedeutungsunterscheidend war liber frei liber Buch levis glatt levis leicht malum Apfel malum Ubel ōs Mund os Knochen lutum Gelbkraut lutum Schlamm Beschreibung des KollapsesDer Wandel der Aussprache dieser Vokale im Vulgarlatein ging vermutlich von einer veranderten Betonung aus in betonten Silben tendierten die Vokale generell zur langeren Aussprache in den ubrigen Silben dagegen zur kurzeren Dies hatte zur Folge dass sich die ursprunglichen Kurz und Langvokale in der Quantitat einander anglichen so dass sich zunachst folgendes Schema ergab Aussprache IPA Buchstabe Klassisch Vulgarkurzes A ă a a langes A a aː a kurzes E ĕ ɛ ɛ langes E e eː e kurzes I ĭ ɪ ɪ langes I i iː i kurzes O ŏ ɔ ɔ langes O ō oː o kurzes V ŭ ʊ ʊ langes V u uː u AE ae aj aɛ ɛ OE œ oj oe o e AV au aw aw ɔ In den betonten Silben entfiel daraufhin die Unterscheidung zwischen den einander nahestehenden Kurzvokalen ɪ und e ʊ und o mit entsprechend wechselnder Schreibweise in den erhaltenen Quellen i e bzw u o In den unbetonten Silben ging die Reduktion der Vokale noch weiter hier fielen jeweils ɪ e und ɛ zu e und ʊ o und ɔ zu o zusammen Zu beachten ist dass dies eine vereinfachte Darstellung des Quantitatenkollapses ist die einige Sonderentwicklungen aufgrund unterschiedlicher sprachlicher Voraussetzungen in den romanisierten Gebieten Beeinflussung durch vorromanische Sprachen u a nicht berucksichtigt SchriftbelegeZu den altesten Belegen gehort ein Brief der bei Ausgrabungen in Agypten 1924 1934 gefunden und im fruhen 2 Jahrhundert n Chr vermutlich im Jahre 133 von einem romischen Soldaten Claudius Terentianus verfasst wurde Darin finden sich folgende Beispiele fur den Quantitatenkollaps acu lentiaminaque statt acum linteaminaque Akk Nahzeug sopera uber bezuglich statt supra Prap uber Etliche weitere Belege enthalt die Worterliste Appendix Probi u a tolonium non toloneum columna non colomna ostium non osteum puella non poella Beispiele fur Auswirkungen des QuantitatenkollapsesErkennbar ist bei lentiamina die beginnende Hiattilgung e und i vor weiterem Vokal fielen zunachst zu ɪ zusammen bevor sie zu j wurden Dieser Laut bewirkte im spateren 2 Jahrhundert die Palatalisierung eines vorangehenden t und damit die Weiterentwicklung von tj zu einem Zischlaut Vincentza statt Vincentia tersiu statt tertiu m usw dadurch entstanden u a im heutigen Italienischen und Franzosischen die Worter piazza Platz aus platea und grace Gnade aus gratia Konnten mit Hilfe der langen und kurzen Vokale im klassischen Latein noch unterschiedliche Kasus markiert werden war dies im Vulgarlatein nicht mehr moglich da die beiden Formen nun gleich lauteten So musste man verstarkt Prapositionen verwenden um die Kasus eindeutig voneinander zu unterscheiden Deshalb werden heute in so gut wie allen romanischen Sprachen mit Ausnahme des Rumanischen samtliche Kasus durch Prapositionen ausgedruckt Die Entwicklung im GriechischenWie das Latein kannte auch das Altgriechische lange und kurze Vokale Im Gegensatz zur Entwicklung im Vulgarlatein blieben beim Griechischen mit Ausnahme von eː das zu i gehoben wurde die Qualitaten erhalten wahrend das System der Quantitaten vollkommen zusammengebrochen ist QuellenReinhard Kiesler Einfuhrung in die Problematik des Vulgarlateins Tubingen 2006 ISBN 978 3 484 54048 4 S 42 Johannes Kramer Vulgarlateinische Alltagsdokumente auf Papyri Ostraka Tafelchen und Inschriften Berlin und New York 2007 ISBN 978 3 11 020224 3 S 24 26 63 71 Johannes Kramer Vulgarlateinische Alltagsdokumente auf Papyri Ostraka Tafelchen und Inschriften Berlin und New York 2007 ISBN 978 3 11 020224 3 S 63 71 Johannes Kramer Vulgarlateinische Alltagsdokumente auf Papyri Ostraka Tafelchen und Inschriften Berlin und New York 2007 ISBN 978 3 11 020224 3 S 68 Leonard R Palmer Die lateinische Sprache Hamburg 2000 ISBN 3 87548 220 4 S 181 Josef G Mitterer Lautwandel 157 Lautschicksale mit Beispielen Deutung und Erlauterungen KDP 2019 ISBN 978 1797576749 S 86