Die Schuldunfähigkeit auch Unzurechnungsfähigkeit Zurechnungsunfähigkeit schließt im Strafrecht die dem Täter vorwerfbar
Zurechnungsfähigkeit

Die Schuldunfähigkeit (auch Unzurechnungsfähigkeit, Zurechnungsunfähigkeit) schließt im Strafrecht die dem Täter vorwerfbare Schuld an einer rechtswidrig begangenen Straftat (Unrechtstatbestand) aus. Ihr Gegenteil ist die Schuldfähigkeit. Dazwischen steht die sogenannte verminderte Schuldfähigkeit.
Strafrecht Deutschlands
Das Strafrecht Deutschlands beruht in Übereinstimmung mit dem Menschenbild des Grundgesetzes auf dem Schuld- und Verantwortungsprinzip. Wer ohne Schuld handelt, kann deshalb nicht bestraft werden („nulla poena sine culpa“). Im Strafgesetzbuch (StGB) wird die Schuldunfähigkeit in § 19 und § 20 und die verminderte Schuldfähigkeit in § 21 geregelt. Der bis 1974 geltende § 51 StGB a. F., der von den vorgenannten Paragraphen abgelöst wurde, wurde im öffentlichen und privaten Diskurs in Deutschland verbreitet zur Bezeichnung der angenommenen Zurechnungsunfähigkeit einer Person verwendet. Schuldunfähigkeit wird nur bei 0,3 % aller Straftäter angenommen, verminderte Schuldfähigkeit bei 2 bis 3 % der Straftäter.
Schuldunfähigkeit ist nicht mit Deliktsunfähigkeit aus dem Zivilrecht gleichzusetzen, obwohl häufig beide Tatbestände zugleich vorliegen.
Strafgesetzbuch
Kinder
Bei allen Tätern, die zur Tatzeit noch nicht vierzehn Jahre alt (Kind im Rechtssinne) sind, wird die Schuldunfähigkeit unwiderleglich gesetzlich vermutet. Normiert ist dies in § 19 StGB. Bis 1923 trat die Strafmündigkeit schon mit 12 Jahren ein.
Jugendliche
Wer zur Tatzeit zwischen vierzehn und achtzehn Jahren alt ist, ist im Rechtssinne nach § 1 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz (JGG) Jugendlicher und gemäß § 3 JGG strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Dies muss durch das Gericht positiv festgestellt werden.
Volljährige
Grundsätzlich wird bei mindestens 18 Jahre alten Personen die Schuldfähigkeit gesetzlich vermutet. Anhaltspunkte für die Schuldunfähigkeit lassen sich oft nur mit medizinischen, psychiatrischen oder forensisch-psychologischen Gutachten bestimmen. Dennoch handelt es sich um eine Rechtsfrage, die das Gericht in alleiniger Verantwortung entscheidet.
Nach § 20 StGB handelt ohne Schuld, „wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“ Schuldunfähig kann also sein, wer im Moment der Tat nicht das Schuldhafte seines Handelns erkennt oder nicht in der Lage ist, sich zu steuern. Die aufgezählten psychischen Ursachen (sogenannte „Eingangskriterien“ oder „-merkmale“) einer geminderten oder nicht vorhandenen Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit stellen Kategorien dar, die in der Psychologie und Medizin ungebräuchlich sind und im Grunde nur im Rechtswesen für die Beurteilung einer Affekthandlung verwendet werden.
Soweit die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit zwar nicht fehlt, aber erheblich vermindert ist, kann Strafmilderung nach § 21 StGB folgen. Sie wird bei selbstverschuldetem Alkoholrausch häufig jedoch nicht gewährt.
Folgende Eingangsmerkmale werden unterschieden:
- Unter einer krankhaften seelischen Störung werden hirnorganisch bedingte Zustände – auch verursacht durch psychotrope Substanzen wie Alkohol (Vollrausch) – oder Psychosen verstanden.
- Als tiefgreifende Bewusstseinsstörung gelten Erscheinungen, die Bewusstseinsveränderungen oder -einengungen darstellen, die keine Störung von psychopathologischer Relevanz konstituieren. Hierzu zählen Erschöpfung, Ermüdung, Schlaftrunkenheit, speziell Parasomnie und vor allem emotionale Zustände der Verwirrtheit, die dazu führen können, dass eine Tat im Affekt begangen wird (zum Beispiel unter Verlust der Steuerungsfähigkeit). Ein Versuch, derartige Zustände im Fachgebiet der Psychiatrie psychopathologisch diagnostizierbar zu machen, besteht in der Klassifizierung als akute Belastungsreaktion. Die Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt ist ein wichtiger Anhaltspunkt für das Vorliegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung. Ab 2,0 Promille wird im Allgemeinen eine verminderte Schuldfähigkeit angenommen, bei Tötungsdelikten ab 2,2 Promille. Ab 3,0 Promille wird im Allgemeinen eine Schuldunfähigkeit angenommen, bei Tötungsdelikten wegen der höheren Hemmschwelle im Allgemeinen erst ab 3,3 Promille. Diese Richtwerte werden aber im Einzelfall an Konstitution und Trinkverhalten des mutmaßlichen Täters angepasst.
- Als Intelligenzminderung (bis 2020 als Schwachsinn bezeichnet) werden Stufen angeborener Intelligenzschwäche ohne nachweisbare Ursache bezeichnet. Intelligenzschwächen, die im Zuge einer Demenz entstehen, werden indessen dem ersten Eingangskriterium zugeordnet. Für die Feststellung einer geistigen Behinderung wird unter anderem auf den Intelligenzquotienten (IQ) abgestellt. Dabei wird im Sinne der ICD zwischen leichter geistiger Behinderung (IQ 50 bis 69), einer mäßigen geistigen Behinderung (IQ von 35 bis 49), einer schweren geistigen Behinderung (IQ 20 bis 34) und einer schwersten geistigen Behinderung (IQ unter 20) unterschieden.
- Unter das Eingangskriterium einer schweren anderen seelischen Störung (bis 2020 als schwere andere seelische Abartigkeit häufig SASA abgekürzt, genannt) fallen eine ganze Reihe psychiatrischer Diagnosen. Darunter werden Persönlichkeitsstörungen, Paraphilien, Störungen der Impulskontrolle, Alkoholismus und andere substanzgebundene Abhängigkeiten sowie nicht-substanzgebundene Abhängigkeiten verstanden.
Bei Heranwachsenden (18 bis unter 21 Jahre) muss zwar im Einzelfall geprüft werden, ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewandt wird (§ 105 JGG), allerdings gilt auch bei Anwendung des Jugendstrafrechts der § 3 JGG für Heranwachsende nicht; bei ihnen wird also wie bei Erwachsenen die Schuldfähigkeit vermutet.
Rechtsfolgen
Der schuldunfähige Täter kann zwar nicht bestraft werden, aber psychisch kranke oder suchtkranke Rechtsbrecher, die im Sinne von § 20 oder § 21 StGB als schuldunfähig oder vermindert schuldfähig gelten und bei denen zugleich unter Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat eine weitere Gefährlichkeit zu erwarten ist, können nach § 63 und § 64 StGB im Maßregelvollzug untergebracht werden.
Diese Rechtsfolgen sind nach § 7 Absatz 1 JGG auch für Jugendliche anwendbar, wenn § 3 JGG (strafrechtliche Reife) bejaht wird. In diesen Fällen erfolgt die Unterbringung im Jugendmaßregelvollzug. Bei fehlender Reife richtet sich die Unterbringung nach § 1631b BGB.
Die Unterbringung im Maßregelvollzug ist jedoch für Bagatellstraftaten ausgeschlossen. Vielmehr muss sie als ultima ratio notwendig sein, um die Allgemeinheit zu schützen. Es gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Zivilrechtlichen Schadensersatz (§ 823 BGB) muss auch ein Schuldunfähiger leisten, wenn er nicht zugleich deliktsunfähig ist.
Registereintragung
Die Schuldunfähigkeit kann in jeder Lage des Verfahrens (Ermittlungsverfahren, Zwischenverfahren, Hauptverfahren) festgestellt werden und beendet das Verfahren. Im Ermittlungsverfahren kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren durch Verfügung einstellen.
In allen Fällen wird die Verfahrensbeendigung im Bundeszentralregister registriert, wenn die Entscheidung sich auf das Gutachten eines Sachverständigen stützt und das Gutachten bei der Entscheidung nicht älter als 5 Jahre ist (§ 11 Absatz 1 BZRG).
Die Eintragung wird nach 10 bzw. 20 Jahren entfernt (§ 24 Absatz 3 BZRG).
Actio libera in causa
Ein juristisches Sonderproblem stellen Fälle dar, in denen der Täter sich vor Begehung der Tat vorsätzlich in einen Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat (etwa durch die Herbeiführung eines Vollrausches), oder schon beim Berauschen den später in schuldunfähigem Zustand herbeigeführten Erfolg hätte voraussehen können und müssen. Diese Problematik wird als actio libera in causa bezeichnet. Ob und mit welcher Begründung der Täter dann trotz eigentlich fehlender Schuld zur Tatzeit bestraft werden kann, ist in der Rechtswissenschaft umstritten.
Sonstiges
Im Rahmen eines Strafverfahrens kamen Anfang der 1960er Jahre dem zuständigen Amtsrichter Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten. Um diese Frage zu klären, hielt der Richter eine Entnahme von Liquor cerebrospinalis, d. h. Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit, für erforderlich, was einen schmerzhaften und nicht risikofreien medizinischen Eingriff bedeutet hätte. Als der Angeklagte seine Zustimmung zu diesem Eingriff verweigerte, ordnete das Amtsgericht ihn auf Grundlage einer strafprozessualen Vorschrift (§ 81a StPO) an. Hiergegen erhob der Angeklagte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Das BVerfG fällte 1963 die sogenannte Liquorentnahme-Entscheidung. Sie ist historisch und verfassungsrechtlich bedeutsam, da sie das wechselseitige Verhältnis von staatlichen Eingriffsbefugnissen und individuellen Freiheitsrechten (hier: Recht auf körperliche Unversehrtheit) abgrenzte und klarstellte, dass nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Anwendung eines an sich verfassungsgemäßen Gesetzes im Einzelfall verfassungswidrig sein kann.
Strafrecht Schweiz
Schuldunfähigkeit und verminderte Schuldfähigkeit sind in Art. 19 des Schweizerischen Strafgesetzbuches geregelt.
Dass geisteskranke Verbrecher einer Heilanstalt statt einer Strafanstalt zugeführt werden, war dem damaligen Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (Burghölzli) Auguste Forel ein wichtiges Anliegen. So führte er, der u. a. als Arzt und Professor tätig war, den Begriff der verminderten Zurechnungsfähigkeit ein und widmete diesem Thema 1901 einen vielbeachteten Vortrag in der Schweizerischen Gesellschaft für ethische Kultur in Zürich, Über die Zurechnungsfähigkeit des normalen Menschen, der bis 1907 in 6 Auflagen gedruckt veröffentlicht wurde.
Trivia
Im deutschen Spielfilm M von 1931 bezieht sich der (von den Kriminellen gewählte) Verteidiger vor den versammelten Kriminellen auf den damaligen § 51 und fordert für den mehrfachen Kindermörder einen Freispruch bzw. eine Übergabe an die Polizei.
Verwandte Rechtsbegriffe
- Exkulpation
Weitere rechtliche Fähigkeiten
- Deliktsfähigkeit
- Ehefähigkeit
- Einwilligungsfähigkeit
- Geschäftsfähigkeit
- Handlungsfähigkeit
- Parteifähigkeit
- Postulationsfähigkeit
- Prozessfähigkeit
- Rechtsfähigkeit
- Strafmündigkeit
- Testierfähigkeit
- Verfahrensfähigkeit
Literatur
- Michael Brünger, Wolfgang Weissbeck (Hrsg.): Psychisch kranke Straftäter im Jugendalter. MWV, Berlin 2008, ISBN 978-3-939069-46-1.
- Frank Czerner: „Minderjährige hinter Schloß und Riegel?“ Freiheitsbeschränkende bzw. -entziehende Maßnahmen gegenüber Kindern, und Jugendlichen, PDF-Dokument.
- Klaus Förster, Ulrich Venzlaff: Psychiatrische Begutachtung. Ein praktisches Handbuch für Ärzte und Juristen. 4. Auflage. Elsevier, Urban & Fischer, München 2004, ISBN 3-437-22900-1.
- Adrian Schmidt-Recla: Theorien zur Schuldfähigkeit. Psychowissenschaftliche Konzepte zur Beurteilung strafrechtlicher Verantwortlichkeit im 19. und 20. Jahrhundert. Eine Anleitung zur juristischen Verwertbarkeit. Leipziger Universitäts-Verlag, Leipzig 2000, ISBN 3-933240-76-X (Leipziger juristische Studien – Strafrechtliche Abteilung 4; zugleich: Leipzig, Univ., Diss., 1999).
- Claus Roxin: Strafrecht. Allgemeiner Teil. (Bd. 1). 3. Auflage. Beck Verlag, München 1997, ISBN 3-406-42507-0, S. 752–792.
- Markus C. Schulte von Drach: Der fremde Wille. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, ISBN 978-3-462-04114-9 (als Taschenbuch: Der Parasit. Droemer/Knaur, München 2010, ISBN 978-3-426-50443-7).
- Wolfgang Weissbeck: Jugendmaßregelvollzug in Deutschland. Basisdokumentation. MWV, Berlin 2009, ISBN 978-3-939069-94-2.
- Yuri Yamanaka: Maßnahmen bei psychisch kranken Straftätern. Herbert Utz Verlag, München 2008, ISBN 978-3-8316-0829-4.
Weblinks
- Die Kritik der Hirnforschung an der Willensfreiheit als Chance für eine Neudiskussion im Strafrecht, Aufsatz von Gunnar Spilgies
- Solln und Sühne, Artikel zum Thema freier Wille und Schuldfähigkeit. Von Markus C. Schulte von Drach bei sueddeutsche.de, 19. Oktober 2009.
- Der Kampf der Psychiatrie gegen strafrechtliche Verantwortlichkeit von Thomas Szasz.
- Historie des Schuldunfähigkeitsbegriffes. In: Norbert Nedopil: Der freie Wille und die Schuldfähigkeit aus der Perspektive des forensisch-psychiatrischen Gutachters, Kapitel 7.1 Historische und weltanschauliche Vorbemerkungen, veröffentlicht in: Thomas Stompe, Hans Schanda (Herausgeber): Der freie Wille und die Schuldfähigkeit in Recht, Psychiatrie und Neurowissenschaften. Wiener Schriftenreihe für Forensische Psychiatrie, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsanstalt, Berlin, ISBN 978-3-941468-23-8, S. 209–222, das Kapitel 7.1. ist vollständig einsehbar bei Google-Books, der Rest nur teilweise.
- Zusammenstellung zur Rolle der rechtlichen Betreuung in Strafverfahren (Bundesanzeiger-Online-Lexikon)
- Hans Meyer-Mews, Ohne freien Willen – aber schuldfähig? [1]
- Gunnar Spilgies, Ohne welchen freien Willen? - zur Frage einer präjudiziellen Wirkung der Geschäfts- und Deliktsunfähigkeit nach den §§ 104 Nr. 2, 827 S. 1 BGB für die Schuldfähigkeit nach § 20 StGB [2]
Einzelnachweise
- Konstantin Karyofilis (forensischer Psychiater), Ärztezeitung, 27./28. Februar 2015, S. 8.
- Beschluss des Großer Senats für Strafsachen vom 24.7.2017 - GSSt 3/17 -. Abgerufen am 14. Juli 2024.
Autor: www.NiNa.Az
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Die Schuldunfahigkeit auch Unzurechnungsfahigkeit Zurechnungsunfahigkeit schliesst im Strafrecht die dem Tater vorwerfbare Schuld an einer rechtswidrig begangenen Straftat Unrechtstatbestand aus Ihr Gegenteil ist die Schuldfahigkeit Dazwischen steht die sogenannte verminderte Schuldfahigkeit Strafrecht DeutschlandsDas Strafrecht Deutschlands beruht in Ubereinstimmung mit dem Menschenbild des Grundgesetzes auf dem Schuld und Verantwortungsprinzip Wer ohne Schuld handelt kann deshalb nicht bestraft werden nulla poena sine culpa Im Strafgesetzbuch StGB wird die Schuldunfahigkeit in 19 und 20 und die verminderte Schuldfahigkeit in 21 geregelt Der bis 1974 geltende 51 StGB a F der von den vorgenannten Paragraphen abgelost wurde wurde im offentlichen und privaten Diskurs in Deutschland verbreitet zur Bezeichnung der angenommenen Zurechnungsunfahigkeit einer Person verwendet Schuldunfahigkeit wird nur bei 0 3 aller Straftater angenommen verminderte Schuldfahigkeit bei 2 bis 3 der Straftater Schuldunfahigkeit ist nicht mit Deliktsunfahigkeit aus dem Zivilrecht gleichzusetzen obwohl haufig beide Tatbestande zugleich vorliegen Strafgesetzbuch Kinder Bei allen Tatern die zur Tatzeit noch nicht vierzehn Jahre alt Kind im Rechtssinne sind wird die Schuldunfahigkeit unwiderleglich gesetzlich vermutet Normiert ist dies in 19 StGB Bis 1923 trat die Strafmundigkeit schon mit 12 Jahren ein Jugendliche Wer zur Tatzeit zwischen vierzehn und achtzehn Jahren alt ist ist im Rechtssinne nach 1 Abs 2 Jugendgerichtsgesetz JGG Jugendlicher und gemass 3 JGG strafrechtlich verantwortlich wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln Dies muss durch das Gericht positiv festgestellt werden Volljahrige Grundsatzlich wird bei mindestens 18 Jahre alten Personen die Schuldfahigkeit gesetzlich vermutet Anhaltspunkte fur die Schuldunfahigkeit lassen sich oft nur mit medizinischen psychiatrischen oder forensisch psychologischen Gutachten bestimmen Dennoch handelt es sich um eine Rechtsfrage die das Gericht in alleiniger Verantwortung entscheidet Nach 20 StGB handelt ohne Schuld wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Storung wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstorung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Storung unfahig ist das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln Schuldunfahig kann also sein wer im Moment der Tat nicht das Schuldhafte seines Handelns erkennt oder nicht in der Lage ist sich zu steuern Die aufgezahlten psychischen Ursachen sogenannte Eingangskriterien oder merkmale einer geminderten oder nicht vorhandenen Steuerungs oder Einsichtsfahigkeit stellen Kategorien dar die in der Psychologie und Medizin ungebrauchlich sind und im Grunde nur im Rechtswesen fur die Beurteilung einer Affekthandlung verwendet werden Soweit die Einsichts oder Steuerungsfahigkeit zwar nicht fehlt aber erheblich vermindert ist kann Strafmilderung nach 21 StGB folgen Sie wird bei selbstverschuldetem Alkoholrausch haufig jedoch nicht gewahrt Folgende Eingangsmerkmale werden unterschieden Unter einer krankhaften seelischen Storung werden hirnorganisch bedingte Zustande auch verursacht durch psychotrope Substanzen wie Alkohol Vollrausch oder Psychosen verstanden Als tiefgreifende Bewusstseinsstorung gelten Erscheinungen die Bewusstseinsveranderungen oder einengungen darstellen die keine Storung von psychopathologischer Relevanz konstituieren Hierzu zahlen Erschopfung Ermudung Schlaftrunkenheit speziell Parasomnie und vor allem emotionale Zustande der Verwirrtheit die dazu fuhren konnen dass eine Tat im Affekt begangen wird zum Beispiel unter Verlust der Steuerungsfahigkeit Ein Versuch derartige Zustande im Fachgebiet der Psychiatrie psychopathologisch diagnostizierbar zu machen besteht in der Klassifizierung als akute Belastungsreaktion Die Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt ist ein wichtiger Anhaltspunkt fur das Vorliegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstorung Ab 2 0 Promille wird im Allgemeinen eine verminderte Schuldfahigkeit angenommen bei Totungsdelikten ab 2 2 Promille Ab 3 0 Promille wird im Allgemeinen eine Schuldunfahigkeit angenommen bei Totungsdelikten wegen der hoheren Hemmschwelle im Allgemeinen erst ab 3 3 Promille Diese Richtwerte werden aber im Einzelfall an Konstitution und Trinkverhalten des mutmasslichen Taters angepasst Als Intelligenzminderung bis 2020 als Schwachsinn bezeichnet werden Stufen angeborener Intelligenzschwache ohne nachweisbare Ursache bezeichnet Intelligenzschwachen die im Zuge einer Demenz entstehen werden indessen dem ersten Eingangskriterium zugeordnet Fur die Feststellung einer geistigen Behinderung wird unter anderem auf den Intelligenzquotienten IQ abgestellt Dabei wird im Sinne der ICD zwischen leichter geistiger Behinderung IQ 50 bis 69 einer massigen geistigen Behinderung IQ von 35 bis 49 einer schweren geistigen Behinderung IQ 20 bis 34 und einer schwersten geistigen Behinderung IQ unter 20 unterschieden Unter das Eingangskriterium einer schweren anderen seelischen Storung bis 2020 als schwere andere seelische Abartigkeit haufig SASA abgekurzt genannt fallen eine ganze Reihe psychiatrischer Diagnosen Darunter werden Personlichkeitsstorungen Paraphilien Storungen der Impulskontrolle Alkoholismus und andere substanzgebundene Abhangigkeiten sowie nicht substanzgebundene Abhangigkeiten verstanden Bei Heranwachsenden 18 bis unter 21 Jahre muss zwar im Einzelfall gepruft werden ob Jugend oder Erwachsenenstrafrecht angewandt wird 105 JGG allerdings gilt auch bei Anwendung des Jugendstrafrechts der 3 JGG fur Heranwachsende nicht bei ihnen wird also wie bei Erwachsenen die Schuldfahigkeit vermutet Rechtsfolgen Der schuldunfahige Tater kann zwar nicht bestraft werden aber psychisch kranke oder suchtkranke Rechtsbrecher die im Sinne von 20 oder 21 StGB als schuldunfahig oder vermindert schuldfahig gelten und bei denen zugleich unter Gesamtwurdigung des Taters und seiner Tat eine weitere Gefahrlichkeit zu erwarten ist konnen nach 63 und 64 StGB im Massregelvollzug untergebracht werden Diese Rechtsfolgen sind nach 7 Absatz 1 JGG auch fur Jugendliche anwendbar wenn 3 JGG strafrechtliche Reife bejaht wird In diesen Fallen erfolgt die Unterbringung im Jugendmassregelvollzug Bei fehlender Reife richtet sich die Unterbringung nach 1631b BGB Die Unterbringung im Massregelvollzug ist jedoch fur Bagatellstraftaten ausgeschlossen Vielmehr muss sie als ultima ratio notwendig sein um die Allgemeinheit zu schutzen Es gilt der Grundsatz der Verhaltnismassigkeit Zivilrechtlichen Schadensersatz 823 BGB muss auch ein Schuldunfahiger leisten wenn er nicht zugleich deliktsunfahig ist Registereintragung Die Schuldunfahigkeit kann in jeder Lage des Verfahrens Ermittlungsverfahren Zwischenverfahren Hauptverfahren festgestellt werden und beendet das Verfahren Im Ermittlungsverfahren kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren durch Verfugung einstellen In allen Fallen wird die Verfahrensbeendigung im Bundeszentralregister registriert wenn die Entscheidung sich auf das Gutachten eines Sachverstandigen stutzt und das Gutachten bei der Entscheidung nicht alter als 5 Jahre ist 11 Absatz 1 BZRG Die Eintragung wird nach 10 bzw 20 Jahren entfernt 24 Absatz 3 BZRG Actio libera in causa Hauptartikel actio libera in causa Ein juristisches Sonderproblem stellen Falle dar in denen der Tater sich vor Begehung der Tat vorsatzlich in einen Zustand der Schuldunfahigkeit versetzt hat etwa durch die Herbeifuhrung eines Vollrausches oder schon beim Berauschen den spater in schuldunfahigem Zustand herbeigefuhrten Erfolg hatte voraussehen konnen und mussen Diese Problematik wird als actio libera in causa bezeichnet Ob und mit welcher Begrundung der Tater dann trotz eigentlich fehlender Schuld zur Tatzeit bestraft werden kann ist in der Rechtswissenschaft umstritten Sonstiges Im Rahmen eines Strafverfahrens kamen Anfang der 1960er Jahre dem zustandigen Amtsrichter Zweifel an der Zurechnungsfahigkeit des Angeklagten Um diese Frage zu klaren hielt der Richter eine Entnahme von Liquor cerebrospinalis d h Gehirn und Ruckenmarksflussigkeit fur erforderlich was einen schmerzhaften und nicht risikofreien medizinischen Eingriff bedeutet hatte Als der Angeklagte seine Zustimmung zu diesem Eingriff verweigerte ordnete das Amtsgericht ihn auf Grundlage einer strafprozessualen Vorschrift 81a StPO an Hiergegen erhob der Angeklagte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht BVerfG Das BVerfG fallte 1963 die sogenannte Liquorentnahme Entscheidung Sie ist historisch und verfassungsrechtlich bedeutsam da sie das wechselseitige Verhaltnis von staatlichen Eingriffsbefugnissen und individuellen Freiheitsrechten hier Recht auf korperliche Unversehrtheit abgrenzte und klarstellte dass nach dem Verhaltnismassigkeitsgrundsatz die Anwendung eines an sich verfassungsgemassen Gesetzes im Einzelfall verfassungswidrig sein kann Strafrecht SchweizSchuldunfahigkeit und verminderte Schuldfahigkeit sind in Art 19 des Schweizerischen Strafgesetzbuches geregelt Dass geisteskranke Verbrecher einer Heilanstalt statt einer Strafanstalt zugefuhrt werden war dem damaligen Direktor der Psychiatrischen Universitatsklinik Zurich Burgholzli Auguste Forel ein wichtiges Anliegen So fuhrte er der u a als Arzt und Professor tatig war den Begriff der verminderten Zurechnungsfahigkeit ein und widmete diesem Thema 1901 einen vielbeachteten Vortrag in der Schweizerischen Gesellschaft fur ethische Kultur in Zurich Uber die Zurechnungsfahigkeit des normalen Menschen der bis 1907 in 6 Auflagen gedruckt veroffentlicht wurde TriviaIm deutschen Spielfilm M von 1931 bezieht sich der von den Kriminellen gewahlte Verteidiger vor den versammelten Kriminellen auf den damaligen 51 und fordert fur den mehrfachen Kindermorder einen Freispruch bzw eine Ubergabe an die Polizei Verwandte RechtsbegriffeExkulpationWeitere rechtliche FahigkeitenDeliktsfahigkeit Ehefahigkeit Einwilligungsfahigkeit Geschaftsfahigkeit Handlungsfahigkeit Parteifahigkeit Postulationsfahigkeit Prozessfahigkeit Rechtsfahigkeit Strafmundigkeit Testierfahigkeit VerfahrensfahigkeitLiteraturMichael Brunger Wolfgang Weissbeck Hrsg Psychisch kranke Straftater im Jugendalter MWV Berlin 2008 ISBN 978 3 939069 46 1 Frank Czerner Minderjahrige hinter Schloss und Riegel Freiheitsbeschrankende bzw entziehende Massnahmen gegenuber Kindern und Jugendlichen PDF Dokument Klaus Forster Ulrich Venzlaff Psychiatrische Begutachtung Ein praktisches Handbuch fur Arzte und Juristen 4 Auflage Elsevier Urban amp Fischer Munchen 2004 ISBN 3 437 22900 1 Adrian Schmidt Recla Theorien zur Schuldfahigkeit Psychowissenschaftliche Konzepte zur Beurteilung strafrechtlicher Verantwortlichkeit im 19 und 20 Jahrhundert Eine Anleitung zur juristischen Verwertbarkeit Leipziger Universitats Verlag Leipzig 2000 ISBN 3 933240 76 X Leipziger juristische Studien Strafrechtliche Abteilung 4 zugleich Leipzig Univ Diss 1999 Claus Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil Bd 1 3 Auflage Beck Verlag Munchen 1997 ISBN 3 406 42507 0 S 752 792 Markus C Schulte von Drach Der fremde Wille Kiepenheuer amp Witsch Koln 2009 ISBN 978 3 462 04114 9 als Taschenbuch Der Parasit Droemer Knaur Munchen 2010 ISBN 978 3 426 50443 7 Wolfgang Weissbeck Jugendmassregelvollzug in Deutschland Basisdokumentation MWV Berlin 2009 ISBN 978 3 939069 94 2 Yuri Yamanaka Massnahmen bei psychisch kranken Straftatern Herbert Utz Verlag Munchen 2008 ISBN 978 3 8316 0829 4 WeblinksWiktionary Schuldfahigkeit Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Die Kritik der Hirnforschung an der Willensfreiheit als Chance fur eine Neudiskussion im Strafrecht Aufsatz von Gunnar Spilgies Solln und Suhne Artikel zum Thema freier Wille und Schuldfahigkeit Von Markus C Schulte von Drach bei sueddeutsche de 19 Oktober 2009 Der Kampf der Psychiatrie gegen strafrechtliche Verantwortlichkeit von Thomas Szasz Historie des Schuldunfahigkeitsbegriffes In Norbert Nedopil Der freie Wille und die Schuldfahigkeit aus der Perspektive des forensisch psychiatrischen Gutachters Kapitel 7 1 Historische und weltanschauliche Vorbemerkungen veroffentlicht in Thomas Stompe Hans Schanda Herausgeber Der freie Wille und die Schuldfahigkeit in Recht Psychiatrie und Neurowissenschaften Wiener Schriftenreihe fur Forensische Psychiatrie Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsanstalt Berlin ISBN 978 3 941468 23 8 S 209 222 das Kapitel 7 1 ist vollstandig einsehbar bei Google Books der Rest nur teilweise Zusammenstellung zur Rolle der rechtlichen Betreuung in Strafverfahren Bundesanzeiger Online Lexikon Hans Meyer Mews Ohne freien Willen aber schuldfahig 1 Gunnar Spilgies Ohne welchen freien Willen zur Frage einer prajudiziellen Wirkung der Geschafts und Deliktsunfahigkeit nach den 104 Nr 2 827 S 1 BGB fur die Schuldfahigkeit nach 20 StGB 2 EinzelnachweiseKonstantin Karyofilis forensischer Psychiater Arztezeitung 27 28 Februar 2015 S 8 Beschluss des Grosser Senats fur Strafsachen vom 24 7 2017 GSSt 3 17 Abgerufen am 14 Juli 2024 Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Normdaten Sachbegriff GND 4136816 2 GND Explorer lobid OGND AKS